Dammbruch: Euthanasie ist kein Tabu mehr

Gesprächsabend "Wer bestimmt über das Ende meines Lebens?" mit Bioethiker Prof. Patt im Münchner Studententreff Schackstraße

Aktive Sterbehilfe auch ohne die Zustimmung der Betroffenen ist nach Ansicht von Prof. Stephan Patt kein Tabu mehr, sondern stillschweigend auf dem Vormarsch. Der Mediziner und Theologe aus Köln warnte bei einem Gesprächsabend zum Thema "Wer bestimmt über das Ende meines Lebens?" im Münchner Studententreff "Schackstraße" davor, dass sich bald immer mehr Ärzte – wie in Holland bereits tagtägliche Realität – dazu gedrängt sähen, zur Euthanasie selbst an Gesunden verpflichtet zu sein. Nachdem insbesondere wegen der Vorkommnisse unter den Nazis aktive Sterbehilfe in Deutschland lange Zeit indiskutabel gewesen sei, rechnet Patt nun mit einem Dammbruch: "Der Arzt, der einen Patienten tötet, gilt plötzlich als Wohltäter, vorher war er noch ein Mörder."

Um den erschreckenden Meinungsumschwung zu verdeutlichen, zitierte der Bioethikexperte eine wahre Geschichte aus den Niederlanden: Die Sache dulde keinen Aufschub, sagte der junge Mann im Behandlungszimmer, Flüge und Quartier für die Sommerferien seien fest gebucht. Es lasse sich nichts verschieben. Der Doktor solle bitte dafür sorgen, dass der krebskranke Vater den Urlaub nicht durchkreuzen könne. Es gehe ja sowieso zu Ende mit ihm. Der Hausarzt verordnete also eine hohe Dosis Morphium, von der er annahm, dass sie den alten Herrn töten würde. Doch der dachte nicht daran, sich zu verabschieden: Als der Doktor zurückkam, um den Tod festzustellen, saß der Kranke fröhlich auf der Bettkante. Seit Wochen war er zum ersten Mal wieder gut drauf. "Denn er hatte endlich so viel Morphium bekommen, wie er brauchte, um seine Schmerzen zu ertragen", erläuterte Patt.

Er berichtete weiter, dass bereits 1997 holländische Mediziner im privaten Gespräch eingestanden, dass die unfreiwillige Euthanasie außer Kontrolle sei. In der Öffentlichkeit aber behaupteten sie, dass es damit keine ernsthaften Probleme gebe. "Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Willkür herrscht. In Holland liegt es im Ermessen von Ärzten, ob jemand zu Tode kommt oder nicht", kommentierte Patt und stellte die bedrückende Frage: "Werden schließlich diplomierte Sterbehelfer ausgebildet, und wird Sterbehilfe dann Pflichtfach im Medizinstudium?"

Die Kultur des Lebens weiche zusehends einer Kultur des Todes. Ein Bewusstsein, dass Euthanasie ein Recht sei, verbreite sich deutlich. "Doch dies ist ein Irrtum. Wenn schon der Lebensbeginn nicht der Selbstbestimmung unterliegt, so auch nicht das Ende", gab der Bioethiker zu bedenken. Sicherlich sei es verständlich, dass Angehörige, Pflegende oder Ärzte aus Mitleid zur Euthanasie neigten. "Doch Töten ist Töten. Und umfasst die Aufgabe der Ärzte das Töten? Ist in ihrem Auftrag zu heilen tatsächlich mit inbegriffen, auf diese Art vom Leiden zu befreien?"

Zugleich wies er darauf hin, dass man sehr wohl etwas gegen starkes Leiden tun könne: Anstatt Schwerkranke zu töten, solle man sich mehr Gedanken über die umfangreichen Möglichkeiten einer möglichst flächendeckenden Palliativmedizin machen, deren Ziel die Linderung der Schmerzen sowie die adäquate pflegerische, psychologische und seelsorgliche Sterbebegleitung sei. "Das ist es, was sich die überwiegende Mehrzahl der Leidenden wünscht. Vor allem menschliche Wärme kombiniert mit einer optimalen Schmerztherapie ist die richtige Antwort auf die bedrängenden Fragen am Ende des Lebens, nicht der kalte Tod", stellte der Priester klar. Ferner erwähnte er eine Studie des "Arbeitskreises Ethik" der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, der zufolge eine Liberalisierung der Euthanasie umso weniger als notwendig erachtet werde, je größer die Erfahrungen und Kenntnisse der Befragten in der Palliativmedizin und im Umgang mit Schwerstkranken gewesen seien.

Als moralisch zulässig bezeichnete der Neuropathologe die "passive Sterbehilfe", die den Tod akzeptiere, bei der man jedoch nicht zu seinem Handlanger werde. Sie verlängere das Leben nicht mehr aus medizinischem Übertherapierungswahn, aber entscheide auch nicht eigenmächtig darüber, wann der Tod eintreten solle. Für die "indirekte Sterbehilfe" gelte die gleiche ethische Bewertung. "Sie ist ein In-Kauf-Nehmen lebensverkürzender Nebenwirkungen bei der Verabreichung palliativmedizinischer Medikamente wie etwa Morphium", erklärte der Referent.

Das Sterben sei für den Christen keine Katastrophe, wenn es ihm gelinge, den von Gott ihm zugedachten Sinn des Sterbens zu erfassen und zu bejahen. Denn der Christ glaube ja mit Blick auf das Sterben Jesu Christi an den Sinn des Leidens. Die Suche danach könne zur letzten Erfüllung des Lebens beitragen. "Letztendlich benötigen wir einen Paradigmenwechsel: Das bloße Ertragen ist zu wenig. Es geht darum, die Bereitschaft zum Mittragen zu fördern. Das ist etwas zutiefst Christliches“, lautete Prof. Patts Resümee, das sowohl für die Betroffenen wie die Angehörigen gelten kann.

von Bernd Kreuels