Botschaft des Prälaten (15. Mai 2020)

In Zeiten allmählicher Lockerungen lädt Msgr. Fernando Ocariz dazu ein, weiterhin apostolisch aktiv zu sein und mit dem eigenen Leben zu zeigen, wie attraktiv es ist, Jünger Christi zu sein.

Meine Lieben, Gott schütze Euch!

In den letzten Wochen mit Ausgangssperre in so vielen Ländern haben sich Grenze und Größe des Menschen offenbart. Wir waren Zeugen, wie ein Virus unser Leben – wie auch das Millionen anderer – aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Vielleicht haben wir gelernt, bewusster zu schätzen, was wir für selbstverständlich gehalten hatten.

Beten wir weiter besonders für die Verstorbenen und für ihre Familienangehörigen, die in vielen Fällen während der letzten Augenblicke ihres Lebens nicht bei ihnen sein konnten. Auch wir haben durch die vielen Gläubigen des Opus Dei, die heimgegangen sind und für die wir beten, diesen Schmerz am eigenen Leib gespürt.

Andererseits haben wir die großzügige – manchmal heroische – Hingabe vieler Menschen erlebt. Sie haben mit dem Risiko, sich selbst anzustecken, fast ohne Unterbrechung in den Krankenhäusern Dienst getan, andere Menschen in ihren Häusern versorgt, ihren Arbeitstag von zu Hause aus verlängert oder für die Gesellschaft unverzichtbare Arbeiten verrichtet. Ihr Beispiel hat uns an die Worte erinnert, die Jesus beim letzten Abendmahl an seine Apostel richtete: „Ich aber bin unter euch wie der, der bedient“ (Lk 22, 27).

Die außergewöhnlichen Umstände dieser Tage der Isolierung haben viele Menschen angeregt, über den Sinn des Lebens nachzudenken, und in nicht wenigen Fällen ist eine größere Sehnsucht nach Gott aufgebrochen. Vielleicht ist es auch uns so gegangen. Gleichzeitig hat die Unmöglichkeit, in gewohnter Weise die Sakramente zu empfangen – vor allem die Eucharistie und die Beichte –, vermutlich dazu geführt, sie mehr zu schätzen und zu ersehnen. Wie auch immer, sicher haben wir versucht, mehr Umgang mit Gott zu haben und ihn den Mitmenschen näher zu bringen. Gottes Gegenwart hat sich in vielen Lebensbereichen intensiver bemerkbar gemacht und uns – wie auch zahllosen anderen Menschen – die Kraft gegeben, für diejenigen da zu sein, die allein waren oder besonders gelitten haben.

In diesem Sinne konnten dank der Initiative vieler Beteiligten die Bildungsmittel des Werkes mittels der Technologie ungebrochen, in einigen Fällen sogar in gesteigertem Maße, angeboten werden. Ich danke Gott für den apostolischen Eifer meiner Töchter und meiner Söhne, die ihre Kreativität und ihre Zeit eingesetzt haben, um die Botschaft Christi weiterhin zu verbreiten. Viele Leute, die an diesen Veranstaltungen entsprechend der momentanen Umstände teilnehmen konnten, haben mit viel Interesse und großer Dankbarkeit reagiert. Diese Tage haben unseren Horizont in Bezug auf den Einsatz der digitalen Mittel erweitert; wir wissen jetzt, dass sie auch zukünftig eine Hilfe sein können, um das Bildungsangebot bei Hindernissen wie Entfernung, Krankheit usw. aufrechtzuerhalten, und auch, um viele andere Aktivitäten durchzuführen.

Natürlich haben wir in dieser Zeit die körperliche Nähe vieler Menschen vermisst. Die notwendige Distanz, die wir wahrscheinlich eingehalten haben, hat in jedem den Wunsch nach direktem persönlichem Kontakt erneuert, sowohl in den vielfältigen Zeichen der Freundschaft wie bei den Bildungsmitteln – den Kreisen, Einkehrtagen, Betrachtungen, persönlichen Gesprächen und theologischen Arbeitskreisen –, die nach und nach wieder in Anwesenheit der Teilnehmer stattfinden werden.

Vor einigen Wochen hat der Papst bei der Betrachtung der Beziehung Jesu zu seinen Jüngern daran erinnert, dass die Kirche sich durch eine „konkrete Familienzugehörigkeit“ bildet (vgl. Homilie, 17.4.2020), die sich darin widerspiegelt, dass wir mittels der Sakramente in der Nähe Gottes und durch unsere Gegenwart in der Nähe unserer Mitmenschen leben. Wie ich es euch vor einigen Monaten schrieb, sollen „unsere Häuser (...) Orte sein, wo viele Menschen eine aufrichtige Liebe finden und selbst lernen, wahre Freunde zu sein“ (Hirtenbrief, 1.11.2019).

So verstehen wir die Frage sehr gut, die Johannes und Andreas an Jesus richten: „Meister, wo wohnst du?“ (Joh 1, 38). Sie brauchten seine Gesellschaft, es war wichtig für sie, bei Christus zu sein und ihn nicht nur durch das kennenzulernen, was andere ihnen erzählen konnten. Die Nähe zu Jesus gab dieser Freundschaft, die sie dazu führen würde, ihr Leben hinzugeben, Apostel zu sein, eine neue Tiefe. Mir kommen folgende Worte des heiligen Josefmaria in den Sinn: „Jesus versteht viel von feinfühligen Gesten, vom Wort, das ermutigt, von Freundschaft, die mit Freundschaft erwidert wird. Wie sind wohl die Gespräche im Haus von Betanien, mit Lazarus, mit Marta und mit Maria gewesen!“ (Brief 24.10.1965, Nr. 10).

Auch wenn man dabei ist, an vielen Orten nach und nach zu einer neuen relativen Normalität zurückzukehren, liegt noch ein langer Weg vor uns. Bitten wir Gott um die Kraft, guten Mutes die ernsten Schwierigkeiten zu tragen, die diese Zeit in den Familien, im beruflichen Alltag und in den apostolischen Initiativen hinterlässt. Hören wir auch nicht auf, mit unserem Gebet und – wenn möglich – mit unserer Hilfe den zahllosen Menschen zu Seite zu stehen, die sich in verschiedenen Ländern immer noch in einer wirklich dramatischen Lage befinden.

Wenden wir uns in diesem Monat Mai und angesichts der globalen Lage dieser unserer Welt ganz besonders an die mütterliche Fürsprache Mariens, der Mater misericordiae.

In Liebe segnet Euch

Euer Vater

Rom, 15. Mai 2020