Betrachtungstext: 7. Osterwoche – Samstag

Die Liebe ist eine Frucht des Heiligen Geistes – In der Liebe übernimmt Gott die Initiative – Lernen, sich von Gott lieben zu lassen

ES GIBT noch vieles, was Jesus getan hat. Wenn man alles einzeln aufschreiben wollte, so könnte, wie ich glaube, die ganze Welt die dann geschriebenen Bücher nicht fassen (Joh 21,25). Mit diesem Satz, den wir in der heutigen Messe hören, beschließt Johannes sein Evangelium und eröffnet uns zugleich das Panorama der unaussprechlichen Liebe Gottes: Wir können diese Liebe weder begreifen noch vollständig erfassen; sie lässt sich in keine Formel und in kein Buch pressen. Es gibt keine Worte, die sie beschreiben könnten. Der Heilige Geist wird uns, wie Papst Benedikt XVI. sagte, Tag für Tag erkennen lassen, „dass das Werk Christi das Werk der Liebe ist: der Liebe Christi, der sich hingegeben hat, der Liebe des Vaters, der ihn geschenkt hat“1. Liebe ist ein so vielverwendetes Wort, dass man fallweise den Eindruck gewinnt, es habe an Kraft verloren. Doch der göttliche Beistand weiß, wie er unsere Seele mit der einzigen Liebe entzünden kann, die weder Verrat noch Ermüdung kennt.

Ein sehr alter Hymnus auf die Liebe wird Klemens von Rom, einem der ersten Päpste, zugeschrieben. Er wollte die Korinther zur Beendigung eines Streits zu bewegen und schrieb: „Liebe erträgt alles, Liebe ist in allem langmütig; nichts Gemeines gibt es in der Liebe, nichts Hoffärtiges; Liebe kennt keine Spaltung, Liebe lehnt sich nicht auf, Liebe tut alles in Eintracht (...), wegen der Liebe, die er zu uns brachte, hat unser Herr Jesus Christus sein Blut für uns nach Gottes Willen hingegeben, sein Fleisch für unser Fleisch, seine Seele für unsere Seelen. Geliebte, ihr seht, wie groß und wunderbar die Liebe ist, und ihre Vollkommenheit lässt sich nicht erklären. Wer ist geeignet, in ihr gefunden zu werden, außer jene, die Gott dazu befähigt?2

Wir wenden uns an den göttlichen Beistand, damit er uns einen Vorgeschmack der Liebe verkosten lasse, die Gott uns schenken will. Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe (Joh 15,9), sagt Jesus. Wir wollen diesen „Ort“ nicht verlassen, wir wollen hier bleiben, um unsere Aufmerksamkeit an nichts anderes zu verlieren. Wie oft haben wir Ersatzmittel gesucht oder geglaubt, wir würden dieser Liebe nicht bedürfen. Wie oft haben wir – wie der verlorene Sohn und sein Bruder – von einem Glück fern von unserem Vater und unserem Zuhause geträumt.


DARIN besteht die Liebe: Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat (1 Joh 4,10). Der heutige Prälat des Werkes empfiehlt uns passend, zuallererst daran zu denken, was Gott für mich gemacht hat und tut. Nicht zu versuchen, die eigene Sicherheit darauf zu gründen, was ich für Gott getan habe und tue, denn dies, das Meine, wird immer wenig sein und das, was ich tue, ist eigentlich eine Gabe Gottes.“3 Wir erliegen leicht der Versuchung, die Beziehung mit Gott so zu denken und zu praktizieren, als wären wir die Protagonisten. Gott möchte, dass wir dies sind, aber auf eine andere, sublimere Weise. Der heilige Bernhard erklärt prägnant: „Vom Herrn kommt alles Gute, und ohne ihn kannst du nicht nur wenig, sondern gar nichts beginnen und vollenden.“4

Deshalb brauchen wir hierin einen Meister, der uns führt. Der heilige Josefmaria vertraute sich dem Heiligen Geist an und notierte: „Ich möchte Umgang mit ihm haben, sein Freund sein, sein Vertrauter ..., ihm seine Arbeit des Polierens, Ausreißens und Entzündens erleichtern ... Ich weiß nicht, wie es gehen soll, doch er wird mir die Kraft dazu geben und alles tun, wenn ich nur will ... Natürlich will ich! Du göttlicher Gast, Meister, Licht, Führer, Liebe: Mach, dass das arme Eselchen dich freundlich aufnimmt, auf deine Lehren hört, sich begeistern lässt, dir folgt und dich liebt. Vorsatz: möglichst ohne Unterbrechung und willig die Freundschaft und den liebevollen und fügsamen Umgang mit dem Heiligen Geist suchen. Veni Sancte Spiritus!“5

Hoffentlich sind wir bereit, das Gleiche zu tun und zuzulassen, dass der Tröster unser Herz stärkt, auch gegen die Machenschaften des Feindes. Ein bevorzugter Ort, um dessen Tücken zu entkommen, ist die Beichte: „Der Böse lässt uns verächtlich auf unsere Schwachheit blicken, während der Heilige Geist sie voll Erbarmen ans Tageslicht bringt“, unterstreicht Papst Franziskus die Wohltat der Beichte. „Die Sanftmut ist der beste Weg, um mit dem Schwachen in uns umzugehen (...). Aus diesem Grund ist es wichtig, der Barmherzigkeit Gottes zu begegnen, insbesondere im Sakrament der Versöhnung, und eine Erfahrung von Wahrheit und Sanftmut zu machen. Paradoxerweise kann uns auch der Böse die Wahrheit sagen, doch wenn er dies tut, dann nur, um uns zu verurteilen. Wir wissen aber, dass die Wahrheit, die von Gott kommt, uns nicht verurteilt, sondern aufnimmt, umarmt, unterstützt und vergibt.“6


IN UNSERER Beziehung zu Gott achten wir möglicherweise oft, auch unbewusst, mehr auf das, was wir geben, als auf das, was wir empfangen. Diese Sichtweise ist hinderlich, weil sie uns unabsichtlich Gott gegenüber- statt an seine Seite stellt. Papst Franziskus empfiehlt den umgekehrten Zugang: „Wenn wir an einen Gott denken, der sich alles nimmt, der sich aufdrängt, dann möchten auch wir uns alles nehmen und uns aufdrängen: Räume besetzen, Bedeutung beanspruchen, nach Macht streben. Wenn wir Gott hingegen als Gabe in unseren Herzen spüren, ändert sich alles (...). Der Geist, das lebendige Gedächtnis der Kirche, erinnert uns daran, dass wir uns einer Gabe verdanken und dass wir wachsen, (...) nicht indem wir unser Leben bewahren, sondern indem wir uns hingeben.“7

Manchmal achten wir wohl auf das, was wir erhalten, meinen aber, gleichsam ein Anrecht darauf zu haben. Papst Franziskus lädt uns ein, auf unser Leben zu schauen und uns zu fragen, was uns daran hindert, uns selbst zu geben. Er nennt drei große Feinde der Hingabe, (...) die immer vor der Tür des Herzens lauern: den Narzissmus, das Selbstmitleid und den Pessimismus. „Der Narzissmus führt dazu, dass man sich selbst vergöttert, dass nur der eigene Vorteil zählt. (...). Der von Selbstmitleid Befallene beschwert sich jeden Tag über seine Mitmenschen: ,Niemand versteht mich, niemand hilft mir, niemand mag mich, alle haben etwas gegen mich!‘ Wie oft schon haben wir dieses Gejammer gehört! (...). Und dann ist da noch der Pessimismus. Hier lautet die tägliche Litanei: ,Nichts ist gut, weder die Gesellschaft, noch die Politik, noch die Kirche ...‘ Der Pessimist hat ein Problem mit der Welt, bleibt aber untätig und denkt: ,Was bringt es schon, etwas zu geben? Es ist zwecklos.‘“8

Bitten wir Maria, uns zu lehren, die Liebe Gottes so zu empfangen, wie sie es getan hat. Und lassen wir uns von einem Rat des heiligen Josefmaria dazu inspirieren, ihm ganz persönlich darauf zu antworten: „Verliere die Scheu, den Herrn bei seinem Namen – Jesus – zu rufen und ihm zu sagen, dass du ihn liebst.“9


1 Benedikt XVI., Predigt, 4.6.2006.

2 Hl. Klemens von Rom, Brief an die Korinther, Kap. 49-50.

3 Msgr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, S. 30.

4 Hl. Bernhard, Predigt zum Pfingstfest, 2,6.

5 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen, Nr. 864.

6 Franziskus, Patris corde, Nr. 2.

7 Franziskus, Predigt, 31.5.2020.

8 Ebd.

9 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 303.