Ich habe euch Freunde genannt (I): Hat Gott Freunde?

Gott hat die Freundschaft des Menschen immer schon gesucht und uns sogar angeboten, in Gemeinschaft mit ihm zu leben. Weder menschliche Schwäche noch der Staub des Weges haben ihn dazu bewogen, diesen seinen Wunsch aufzugeben. Sich von dieser bedingungslosen Liebe umfangen zu lassen erfüllt uns mit Licht und Kraft, sie anderen zu schenken.

"Wo bist du?", eine Frage, die sich bestimmt unter den Nachrichten auf unserem Handy findet. Wir werden sie öfters unseren Freunden oder Verwandten geschickt oder von ihnen erhalten haben: man fühlt sich auch auf die Entfernung einander näher, kann sich den anderen besser vorstellen. Wo bist du? Was machst du? Ist alles in Ordnung? Diese Frage war auch eine der ersten, die Gott dem Menschen stellte, als „er im Garten gegen den Tagwind einherschritt“ (Gen 3,8-9). Gott wollte vom Anfang der Schöpfung an gemeinsam mit Adam und Eva wandeln. Wenn wir es wagen, ein bisschen weiter zu denken, könnten wir uns überlegen, dass Gott ihre Freundschaft richtiggehend gesucht hat, um seine Schöpfung vollkommen verwirklicht zu sehen … und jetzt sucht er die unsere.

Eine Neuheit in crescendo

Dieser Gedanke, der für uns vielleicht nicht ganz neu ist, hat in der Geschichte des menschlichen Denkens für einiges Aufsehen gesorgt. In der Tat war in einem der Momente seiner größten geistigen Entfaltung – bei den alten Griechen – die Unmöglichkeit für Menschen, mit Gott befreundet zu sein, resigniert hingenommen worden. Der Grund bestand – wie Aristoteles ausführte – darin, dass zwischen den beiden ein absolutes Missverhältnis besteht, da sie zu verschieden sind (1). Man ging davon aus, dass es zwischen beiden bestenfalls eine Unterwerfungsbeziehung geben könne, zu der wir eventuell durch bestimmte Riten oder bestimmtes Wissen einen entfernten Zugang haben könnten. Aber eine freundschaftliche Beziehung war unvorstellbar.

Die Schrift stellt unsere Beziehung zu Gott jedoch immer wieder in Form von Freundschaft dar. Das Buch Exodus lässt keine Zweifel aufkommen: „Der Herr und Mose redeten miteinander Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden“ (Ex 33,11). Im Hohelied, das die Beziehung zwischen Gott und der Seele, die ihn sucht, auf poetische Weise einfängt, wird letztere immer als „meine Freundin“ (vgl. Hld 1,15 usw.) bezeichnet. Auch das Buch der Weisheit weist darauf hin, dass Gott „von Geschlecht zu Geschlecht in heilige Seelen eintritt und Freunde Gottes schafft“ (Weish 7,27). Es ist wichtig festzuhalten, dass die Initiative in allen Fällen von Gott selbst ausgeht; der Bund, den er mit seiner Schöpfung geschlossen hat, ist nicht symmetrisch, wie ein Vertrag zwischen Gleichen, sondern er ist vielmehr asymmetrisch: Wir haben die verblüffende Möglichkeit erhalten, mit unserem Schöpfer selbst auf Du zu Du zu reden

Die Äußerung der Freundschaft, die Gott uns anbietet, wie auch die Mitteilung dieser Neuheit, wuchs im Lauf der Heilsgeschichte gleich einem großen Crescendo. Alles, was er uns durch den Bund gesagt hatte, wird durch das Leben des Gottessohnes auf der Erde endgültig erleuchtet: „Gott liebt uns nicht nur als Geschöpfe, sondern auch als Kinder, denen er in Christus wahre Freundschaft anbietet“ (2). Das ganze Leben Jesu ist eine Einladung zur Freundschaft mit seinem Vater. Und einer der intensivsten Augenblicke, in denen er uns diese Frohe Botschaft mitteilt, ist beim Letzten Abendmahl. Dort, im Abendmahlssaal, öffnet Jesus mit jeder seiner Gesten sein Herz, um seine Jünger – und uns mit ihnen – zur wahren Freundschaft mit Gott zu führen.

Das biblische Bild vom Staub

Das Johannesevangelium gliedert sich in zwei klare Teile: Der erste konzentriert sich auf die Verkündigung und die Wunder Christi, der zweite auf sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung. Die Brücke, die sie verbindet, ist der folgende Vers, der uns in den Abendmahlssaal führt: „Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüber-zugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Da waren Petrus und Johannes, Thomas und Philippus, alle zwölf zusammen, jeder auf die Seite gelehnt, wie es damals üblich war. Gemäß dem Bericht der Ereignisse handelte es sich wahrscheinlich um einen dreiseitigen Tisch - in U-Form angeordnet - bei dem Jesus sich fast am einen Ende, dem wichtigen, und Petrus am anderen Ende, dem des Dieners, befand; möglicherweise sogar vis à vis. An einem bestimmten Punkt stand Jesus auf – obwohl es nicht die Aufgabe dessen war, der sich an diesem bevorzugten Platz befand –, um eine Handlung zu vollziehen, die seine Mutter vielleicht oftmals an ihm gemacht hatte: er nahm ein Handtuch und band es sich um die Hüften, um den Staub von den Füßen seiner Freunde zu waschen.

Das Bild des Staubs ist in der Heiligen Schrift von Anfang an präsent. In der Schöpfungsgeschichte wird uns gesagt, dass „Gott, der Herr, den Menschen aus dem Staub der Erde formte“ (Gen 2,7). Dann, damit er aufhöre, etwas Lebloses, Totes und beziehungsunfähig zu sein, „blies Gott den Lebensatem in seine Nase. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“ (Gen 2,7). Von diesem Moment an wird der Mensch eine Spannung erfahren, die davon herrührt, dass er Staub und gleichzeitig Geist ist; eine Spannung zwischen seiner radikalen Begrenztheit und seinen unendlichen Wünschen. Aber Gott ist stärker als unsere Schwäche und als jede unserer Verirrungen.

Jetzt, im Abendmahlssaal, taucht der Staub wieder auf. Christus beugt sich über den Staub der Füße seiner Freunde, um sie neu zu erschaffen und ihnen ihre Beziehung zum Vater zurückzugeben. Jesus wäscht uns die Füße und schenkt uns durch die Vergöttlichung des Staubes, aus dem wir gemacht sind, die innige Freundschaft, die er mit seinem Vater hat.. Überwältigt von Ergriffenheit – die Augen all seiner Jünger sind fest auf ihn gerichtet – sagt er: „Vielmehr habe ich euch Freunde genannt, denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ (Joh 15,15). Gott will alles teilen. Jesus teilt uns sein Leben mit, seine Fähigkeit zu lieben, zu verzeihen und bis zum Ende Freunde zu sein.

Wir haben alle erlebt, wie gute Beziehungen zu Freunden uns verändert haben; wir wären vielleicht nicht dieselben, wenn wir gewisse Beziehungen in unserem Leben nicht gefunden hätten. Freunde Gottes zu sein verändert auch die Art und Weise, wie wir mit den Menschen um uns herum befreundet sind. So werden wir, wie Christus, allen die Füße waschen, uns an den Tisch derjenigen setzen, die uns verraten könnten, denen unsere Liebe anbieten, die uns nicht verstehen oder sogar unsere Freundschaft nicht annehmen. Die Sendung eines Christen inmitten der Welt besteht gerade darin, sich allen „wie ein Fächer zu öffnen“ (3), denn Gott haucht weiter dem Staub, aus dem wir gemacht sind, seinen Atem ein und wirkt in diesen Beziehungen, indem er uns sein Licht sendet.

Lassen wir uns zur Gemeinschaft führen

Wir haben gesehen, dass die Freundschaft, die Jesus Christus uns anbietet, ein Akt des bedingungslosen Vertrauens Gottes zu uns ist, der niemals endet. Auch nach zwanzig Jahrhunderten, sagt uns Christus in unserer täglichen Existenz alles, was er über den Vater weiß, um uns weiter in seine Freundschaft hineinzuziehen. Auch wenn uns das nicht fehlen wird, kann es doch nie genug sein, denn „auf diese Freundschaft antworten wir, indem wir unseren Willen mit dem seinen vereinen“ (4).

Wahre Freunde leben in Gemeinschaft: tief in ihrer Seele wollen sie dieselben Dinge, sie wünschen sich das Glück des anderen, manchmal brauchen sie nicht einmal Worte, um einander zu verstehen; man hat sogar gesagt, dass das Lachen über dieselben Dinge eines der klarsten Zeichen der Vertrautheit ist. Diese Gemeinschaft ist im Falle Gottes mehr als nur ein angestrengtes Bemühen, bestimmten Anforderungen gerecht zu werden; dies geschieht nicht unter Freunden. Vielmehr geht es darum, miteinander zu sein, einander zu begleiten..

Ein gutes Beispiel dafür kann gerade Johannes, der vierte Evangelist, sein: Er ließ Jesus sich ihm nähern und ihm die Füße waschen, legte sich während des Abendmahls still auf seine Brust und verließ schließlich - vielleicht ohne das Geschehen vollständig zu begreifen - diesen nicht, um ihm in seinen größten Leiden nahe zu sein. Der geliebte Jünger ließ sich von Jesus Christus verwandeln, und auf diese Weise entfernte Gott allmählich den Staub aus seinem Herzen: „In dieser Gemeinschaft der Willen verwirklicht sich unsere Erlösung: Freunde Jesu sein, zu Freunden Jesu werden. Je mehr wir Jesus lieben, je mehr wir ihn erkennen, desto mehr wächst unsere wahre Freiheit“ (5).

Jesus zeigt uns beim Letzten Abendmahl, dass das Geheimnis der Freundschaft darin besteht, bei ihm zu bleiben: „Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt“ (Joh 15,4). Jesus will in uns, ja durch uns lieben. Ohne ihn können wir nicht Freunde bis in den Tod sein. „So stark deine Liebe auch ist, nie wird sie groß genug sein“, betont der heilige Josefmaria. Aber sofort fügt er hinzu: „Wenn du Gott liebst, dann findet jedes Geschöpf in deinem Herzen einen Platz“ (6).

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"Wo bist du?" sind die Worte, die Gott auf seinem Weg durch diese herrliche Schöpfung, die aus seinen Händen hervorgegangen war, an die Menschen richtete. Er will jetzt auch mit uns in Dialog treten. Niemand, auch nicht der brillanteste aller Denker, könnte sich einen Gott vorstellen, der um unsere Gesellschaft bittet, der um unsere Freundschaft so sehr bettelt, dass er sich ans Kreuz nageln lässt, um niemals die Arme vor uns zu verschließen. Nachdem er uns in diese Verrücktheit der Liebe hineingezogen hat, werden auch wir uns gedrängt fühlen, sie bedingungslos für alle Menschen um uns herum zu öffnen. Wir werden uns gegenseitig fragen: Wo bist du? Ist alles in Ordnung? Und durch diese Freundschaft werden wir in der Lage sein, der Schöpfung ein Stück ihrer Schönheit wiederzugeben.

Giulio Maspero und Andrés Cárdenas

(1) Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1159a, 4-5.

(2) F. Ocáriz, Hirtenbrief 1.11.2019, Nr. 2.

(3) Vgl. hl. Josefmaria, Die Spur des Sämanns, Nr. 193.

(4) F. Ocáriz, Hirtenbrief 1.11.2019, Nr. 2.

(5) Joseph Ratzinger, Homilie in der Messe pro eligendo pontifice , 18.4.2005.

(6) Hl. Josefmaria, Der Kreuzweg, 8. Station, Nr. 5.