Wer war Maria von Magdala?

Osterpredigt des Wiener Erzbischofs Kardinal Schönborn

"Noli me tangere" von Tizian; via The Yorck Project/Wikimedia-Commons

Wer war sie, wer ist sie, die viel diskutierte, vielfach auch verfälschte Maria von Magdala? Die fragwürdigsten Fantasien bemächtigen sich bevorzugt ihrer Gestalt, schmücken mit eigenen Vorstellungen aus, was aus dem Evangelium nicht zu finden ist. Sicher wissen wir eines: Sie war eine öffentliche Sünderin - was immer das heißen mag -, aber als sie Jesus kennen lernte, war das die entscheidende Wende in ihrem Leben. Markus sagt uns, Jesus habe aus ihr sieben Dämonen ausgetrieben. Er hat sie befreit aus vielfältigen und vielgestalten Unfreiheiten. Von Jesus hat sie eine Annahme erfahren wie nie zuvor und von keinem anderen. Sie wusste sich in nie gekannter Weise verstanden, geachtet und geliebt. Sie war nicht mehr Objekt, Gegenstand von Begehren und Bedürfnissen, sie war ganz und gar sie selber. Es war ein nie zuvor gekanntes Glück, eine ungeahnte Erfüllung, die sie in keiner ihrer vermutlich nicht wenigen Beziehungen gefunden hat.

Jesu Tod am Kreuz, war für sie ein unsagbarer Schmerz. Sie ist deshalb wohl auch vor allen anderen Frauen und Männern an seinem Grab, als es noch finster war, am ersten Tag nach dem Sabbat. Und sie findet das Grab leer. Der Leichnam Jesu ist weg.

Es folgt die Episode mit den beiden Jüngern, die schnell kommen und ebenso schnell wieder weg sind, aber Maria von Magdala bleibt. Sie kann nicht weggehen, wo er doch weg ist. Sie weint. Da sieht sie die Engel und dann den Gärtner. Die Szene, Brüder und Schwestern, ist von unvergleichlicher Zartheit. Wir können nie genug darüber staunen, dass das erste Wort des Auferstandenen ein Wort des Mitgefühls, der zärtlichen Aufmerksamkeit ist: "Frau, warum weinst du?"

Kann ich mich in dieser ersten Begegnung mit dem Auferstandnen wieder finden? Die Begegnung geschieht mit einem einzigen Wort. Er nennt sie bei ihrem Namen: Maria. Da erkennt sie ihn. Sie weiß sich erkannt und geliebt...

Aber Jesus ist nicht in die alte irdische Welt zurückgekehrt, er ist jetzt drüben, er ist droben beim Vater. Maria von Magdala kann ihn deshalb nicht festhalten Auch wir können ihn nicht festhalten. Wenn er sich uns zeigt, wenn wir ihm begegnen, dann ist da immer auch, wie bei Maria von Magdala, Sendung. Geh und sage meinen Brüdern, ich lebe! Sie muss gehen und den anderen sagen, was sie von Jesus erhalten hat für ihr Leben und sie muss es weiter geben. Wir müssen es weitergeben, unseren Glauben bezeugen und sagen.

So frage ich noch einmal: Können wir uns in Maria von Magdala wieder finden? In ihrer Sehnsucht nach Liebe, in ihren Enttäuschungen und Irrwegen, in ihrer Suche nach einem größeren Sinn im Leben, nach einem haltbaren Glück? Kann ich etwas von dem mitfühlen, was für Maria von Magdala die Begegnung mit Jesus bedeutet hat? Habe ich etwas von dem Trost erfahren, den sie von ihm bekam? Dann bittet auch mich Jesus: "Geh und sage meinen Brüdern und Schwestern, sage ihnen, was du von mir erfahren hast"...

Nur ein ganz kleiner Satz sei hier eingefügt. Es soll nicht mehr als nur ein Satz sein. Heute werden in Millionen und Millionen Auflagen über Jesus und Maria von Magdala Spekulationen angestellt, bei denen nur allzu durchsichtig ist, dass es vor allem um Geschäftemacherei geht. Wer das Evangelium betrachtet hat, kann mit solchen Spekulationen nichts anfangen.