Ihr Leben mit Gott war das Allernatürlichste

Beinahe zufällig traf Mary Altozano als 19-Jährige die ehrwürdige Dienerin Guadalupe Ortiz de Landazuri. Dieses Treffen sollte ihr ganzes Leben verändern. 67 Jahre danach erinnert sich Mary an Guadalupe.

Mary Altozano lernte Guadalupe 1949 kennen.

Wie lerntest du Guadalupe kennen?

Im Jahr 1949 war ich gerade einmal 19 Jahre alt. Ich stamme aus Andalusien und war mit meinen Eltern auf Besuch bei meinem Bruder in Madrid. Eine meiner Schwestern war mit Guadalupe befreundet und lud mich ein, ein Studentinnenheim namens Zurbarán zu besuchen.

Dort angekommen betraten wir ein Wohnzimmer, in dem Guadalupe gerade mit einem Vortrag begann. Sie sprach über das Gebet. Bis heute könnte ich wahrscheinlich alles wiedergeben, was ich an jenem Tag gehört habe. Ihre Stärke und die Überzeugung, mit der sie sprach, beeindruckten mich tief. Man merkte, dass sie aus persönlicher Erfahrung sprach, als sie sagte dass wir in jedem Augenblick des Tages mit Gott ein persönliches Gespräch führen könnten, dass Gott unser Vater sei und dass Er uns wie verrückt liebte.

Sie sprach auch von der Realpräsenz Jesu Christi im Tabernakel, dass Er darauf wartete, dass wir Ihm alles erzählten. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich all diese Dinge und lebte als praktizierende Christin, aber es hat mich nicht wirklich begeistert. Also beschloss ich, öfters nach Zurbarán zu kommen. Auch meinen zwei besten Freundinnen, die mich an diesem Tag begleitet hatten, erzählte ich davon.

War da etwas, was dir an Guadalupe besonders aufgefallen ist?

Ihre Natürlichkeit. Sie vermittelte Vertrauen, und man konnte sehen, dass die Bewohnerinnen des Studentinnenheims sie gut kannten und sehr mochten.

Aber an diesem Tag hast du gar nicht mit ihr gesprochen…

Richtig, aber zwei, drei Tage später fragte meine Schwester mich, ob wir wieder hingehen könnten. Diesmal halfen wir ein bisschen im Haus mit. Nachher stieß Guadalupe zu uns und wir plauderten. Sie lud mich zu Besinnungstagen ein, die in Molinoviejo stattfinden sollten, einem Zentrum in Segovia. Ich war ja nur auf Urlaub in Madrid und erklärte, dass ich in meiner Heimatpfarre in Andalusien Einkehrtage besuchte. Sie meinte, dass es sich gut während meiner Ferien ausginge und ich doch kommen sollte. Aber ich winkte ab, wir verabschiedeten uns von ihr, ich meinte, ich werde sie nie wieder sehen. Jedenfalls war es eine angenehme Unterhaltung und ich ging zufrieden.

ICH KANN MICH NOCH GANZ GENAU AN DEN TAG ERINNERN, ALS SIE MIR DAS OPUS DEI ERKLÄRTE. SIE SPRACH OHNE ETWAS AUFZUZWINGEN UND ERÖFFNETE VOR MEINEN AUGEN EIN ATEMBERAUBENDES PANORAMA.

Hast du sie später nochmals getroffen?

Noch am selben Tag, als wir beim Mittagessen waren, läutete das Telefon. Es war Guadalupe. Sie wollte wissen, wie ich mich bezüglich der Besinnungstage entschieden hatte. Ich wollte nicht kommen, aber sie erwiderte, dass es mir dann vielleicht leid täte, weshalb sie sich nochmals gemeldet hatte, falls ich doch meine Meinung geändert hätte.

Als ich zum Tisch zurückkam fragte mein Bruder, der das Gespräch verfolgt hatte: „Willst du eigentlich dort hingehen? Natürlich wäre es unangenehm, die Eltern zu fragen, um Geld zu bitten usw., aber wenn du wirklich fahren möchtest, dann sag’s nur, ich kümmere mich um alles.“

Jetzt schien mir alles ganz einfach, und da ich wirklich gerne fahren wollte, beschloss ich, nicht alleine zu fahren, sondern lud auch noch zwei Freundinnen ein. Dann rief ich Guadalupe an und sagte ihr, dass wir zu dritt kommen würden.

War Guadalupe bei diesen Besinnungstagen dabei?

Ja. Ich erinnere mich an eine Atmosphäre der Stille die jedem die Möglichkeit bot, wirklich mit Gott zu sprechen und auf Ihn zu hören. Aber woran ich mich am besten erinnere, ist mein Gespräch mit Guadalupe. Sie erklärte mir die Botschaft des Opus Dei – die Idee der Heiligkeit mitten in der Welt – auf sehr schöne Art und Weise, klar und in Details, ohne die Anforderungen auszuklammern.

Jesus Christus aus ganzem Herzen zu lieben, mit aller Kraft, in der Arbeit und zu Hause und Ihn bekannt zu machen und sich zu bemühen, überall Frieden und Freude auszusäen. Dann fragte sie mich: „Glaubst du nicht, dass das eine passende Berufung für dich sein könnte?“

SIE WAR JA EINE SEHR INTELLIGENTE FRAU, AUS EINEM GUSS, SIE HATTE DEN GROSSEN WUNSCH, VIELE MENSCHEN GOTT NÄHER ZU BRINGEN. DAS WIRKTE NICHT AUFGESETZT, ES WAR DAS ALLERNATÜRLICHSTE

Sie redete liebevoll und in vollem Respekt vor meiner Freiheit. Ich hatte bereits den Wunsch in mir getragen, das zu tun, was Gott von mir wollte. Ihr Freimut beeindruckte mich sehr und daher fragte ich sie: „Guadalupe, du kennst mich doch noch nicht einmal. Wie kannst du mir so etwas vorschlagen?“ Guadalupe antwortete: „Du hast ganz recht. Ich kenne dich nicht, aber deine Familie kenne ich gut und ich weiß, dass du zu Hause eine gute Herzensbildung bekommen hast. Jetzt ist es nur noch eine Frage der Großzügigkeit.“

Sie fügte hinzu: „Denk darüber nach und dann entscheide dich für das, was du willst“ – ihr war es wichtig, dass ich dabei in aller Freiheit handelte – „aber wenn du Ja sagst, dann ist es so. Man kann nicht heute ja und morgen nein sagen. Die Berufung ist für immer“.

Sie erklärte mir alles so gut, dass ich mir meiner Verantwortung ganz bewusst war, nur ein klar überlegtes „Ja“ zu sprechen. Ich ging in die Kapelle, ich kniete vor dem Tabernakel nieder, in dem Jesus wahrhaft gegenwärtig ist, und dann sagte ich mein „Ja“.

Ich wollte unseren Herrn nicht länger warten lassen und daher sagte ich „Ja!“ zu Ihm. Ganz sicher war da eine besondere Gnade im Spiel, die mir half, mich so schnell zu entscheiden. Es war dennoch eine ganz bewusste Entscheidung, und mit der Hilfe Gottes bin ich all die Jahre dabei geblieben.

Ich ging zu Guadalupe und fragte sie, wie man sich dem Opus Dei anschließen könnte. Ich sollte einen Brief an den Gründer schreiben, in dem ich darum bat, zum Opus Dei zu gehören. Mir fiel auf, mit welch großem Vertrauen Guadalupe es mir überließ, dann tatsächlich um Aufnahme zu bitten. Denn bald nach den Besinnungstagen kehrte ich in meine Stadt, Jaén, zurück, wo es ja gar niemanden vom Opus Dei gab!

Ich musste mit meinen Eltern sprechen. Ich erwartete keinen Widerstand, da mein Vater immer gesagt hatte, dass wir in erster Linie Kinder Gottes sind und erst in zweiter Linie Kinder unserer Eltern. Kein Elternteil habe das Recht seinem Kind in einer gerechten Entscheidung Schwierigkeiten zu machen, weder in beruflicher noch sonstiger Hinsicht. Ich weihte zuerst meine Mutter ein. Sie blickte kurz auf ein Herz-Jesu-Bild und dann liefen ihr schon die Tränen über das Gesicht.

Als mein Vater sah, dass ich fest entschlossen war, stimmte auch er zu.

Sie suchte beständig, den anderen das Leben angenehm zu machen, erinnert sich Mary Altozano.

Hattest du danach noch Kontakt mit Guadalupe?

Ich bin ihr ein paar Mal in Spanien begegnet. Damals expandierte das Werk gerade in die verschiedensten Länder: Mexiko, die Vereinigten Staaten... bald erfuhren wir, dass Guadalupe nach Mexico gegangen war.

Wann hast du sie wieder getroffen?

Zwei Jahre später, im Jahr 1951, ging ich nach Rom. 1956 traf ich sie dort wieder. Sie hatte sich nicht verändert: ein lebhafter Mensch, der viel zu erzählen hatte, auch lustige Geschichten und immer wieder Lieder trällerte. Immer war sie freundlich und froh, sie lächelte viel und war ein äußerst angenehmer Mensch.

Der heilige Josefmaria bat Guadalupe in Rom zu bleiben und an seiner Seite zu arbeiten. In diesen Jahren trafen wir uns gelegentlich. Als ich ihr das letzte Mal begegnete, war sie schon sehr krank und hatte gerade die Krankensalbung empfangen. Auch in dieser Situation blieb Guadalupe ruhig und den Menschen zugewandt. Schließlich zwang sie ihre schwache Gesundheit – sie litt an einem Herzleiden – für immer nach Spanien zurückzukehren.

Was ist dir an Guadalupes Charakter besonders aufgefallen?

Vor allem ihre Natürlichkeit im Umgang mit Gott. Sie war ja eine sehr intelligente Frau, aus einem Guss, sie hatte den großen Wunsch, viele Menschen Gott näher zu bringen. Das wirkte nicht aufgesetzt, es war das Allernatürlichste. Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern, als sie mir das Opus Dei erklärte. Sie sprach ohne etwas aufzuzwingen und eröffnete vor meinen Augen ein atemberaubendes Panorama. Sie versuchte überhaupt allen Menschen das Leben angenehmer zu machen, indem sie aufmerksam und ihnen ganz zugewandt war.

Ist dir jemals der Gedanke gekommen, dass Guadalupe eine Heilige war?

Als der Seligsprechungsprozess für sie eingeleitet wurde, erschien mir das als die natürlichste Sache der Welt. In meinen Gedanken hegte ich keinerlei Zweifel daran, dass diese Frau direkt in den Himmel gekommen war. Um ehrlich zu sein: Ich habe nach ihrem Tod bis zur Eröffnung ihres Seligsprechungsprozesses für sie voller Dankbarkeit gebetet. Ich war so dankbar für das, was sie für mich getan hatte.

Die Art und Weise, wie Guadalupe den Geist des Werkes gelebt hatte, in der ihr eigenen, so einfachen Art, hatte mich tief beeindruckt. Sie lebte eine – ich möchte sagen – „normale Heiligkeit“, indem sie versuchte, ihren Mitmenschen das Leben angenehmer zu machen.