Gott in der alltäglichen Arbeit begegnen

Die Arbeit ist für die Weltchristen der Weg, sich mit Jesus Christus zu vereinigen.

Der hl. Thomas Morus

Erasmus von Rotterdam schrieb im Jahre 1519 an Ulrich von Hutten über seinen englischen Freund Thomas Morus, dieser kenne sich als Jurist aus wie kein anderer und er sei immer bereit, für die gerechte Sache einzustehen; er hänge nicht am Geld, sei in allem mässig, doch freue er sich auch über die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens, sei aber zugleich «der umsichtigste und unermüdlichste Arbeiter». Ein Mann des Glaubens und des Gebetes, so sah ihn Erasmus, um schliesslich auszurufen: «… und da gibt es noch Leute, die meinen, Christen finde man nur in den Klöstern!»(1)

Der hl. Thomas Morus repräsentiert, was man einen «gewöhnlichen Christen» nennt. Solche hätte man vermehrt in den letzten Jahren und Monaten im Getriebe der Finanzwelt und den Schalthebeln der Wirtschaft brauchen können: Menschen, die kompetent ihre Pflicht erfüllen, nicht am Geld hängen, ihre Arbeit nicht als Mittel der persönlichen Bereicherung, sondern als Dienst am Mitmenschen verstehen.

Doch ist es möglich, immer und überall, in allen ehrenwerten Berufen, wirklich christlich zu leben? Einer, der davon überzeugt war und mit dieser Überzeugung zum modernen Apostel der «Heiligung der gewöhnlichen beruflichen Arbeit» wurde, war der Gründer des Opus Dei, der hl. Josemaría Escrivá. Die Lehre vom heiligenden Wert des gewöhnlichen Lebens und der Arbeit, so Escrivá, sei eigentlich «so alt und gleichzeitig so neu wie das Evangelium». Er sah sie bereits vom hl. Josef vorgelebt, den die Kirche am 1. Mai als den Zimmermann von Nazareth feiert. Doch war diese Wahrheit im Laufe der Geschichte immer wieder in Vergessenheit geraten. Escrivá war jedoch nicht der erste, der sie wiederentdeckte.

Eine ursprünglich protestantische Wiederentdeckung

«Die Bejahung des gewöhnlichen Lebens findet ihren Ursprung in der jüdisch-christlichen Spiritualität, und der spezielle Anstoss, den sie in der Neuzeit erhält, rührt in allererster Linie von der Reformation her.»(2) Auf dem Hintergrund der Ablehnung des katholischen Kirchen- und Sakramentenverständnisses sowie des Priester- und Mönchtums als gesonderte Berufungen wurden nun gerade die Lebensumstände des «gewöhnlichen Lebens» – Arbeit, Ehe, Familie, soziale und bürgerliche Pflichten – als Berufung verstanden und erhielten eine eminent religiöse Bedeutung.(3)

Doch verbarg sich darin eine ambivalente Spannung zwischen Hinwendung zur Welt als von Gott gewollte Lebenswirklichkeit und der vor allem vom angelsächsischen Puritanismus erhobenen Forderung nach Erlösung von der Welt als von der Sünde geprägte Unordnung. Es fehlen dem puritanischen Arbeitsethos ein wirkliches Interesse am «Heil der Welt», eine innere Beziehung zwischen Arbeit und Erlösung und damit die Grundlage für eine eigentliche Spiritualität der Arbeit. So schlug dieses Arbeitsethos, wie Max Weber in seiner Schrift «Der Geist des Kapitalismus und die protestantische Ethik»(4) feststellte, schliesslich um in eine zwar asketische, aber utilitaristische Tüchtigkeits- und Erfolgsmoral.

Aus dem Zerbrechen der Einheit von Arbeitsethos und religiöser Motivierung entstand zu einem nicht unwesentlichen Teil die Signatur der modernen Welt, wo Weltlichkeit und religiöses Bewusstsein in Konkurrenz zueinander getreten sind und sich schliesslich voneinander entfremdet haben.(5)

Versöhnung von Glaube und moderner Arbeitswelt

Auf der anderen Seite führte eine gewisse katholische Tradition zu einem nicht weniger brisanten Konflikt zwischen Glaube und moderner Welt, der sich bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil in einer religiös begründeten Ablehnung der politischen Moderne und in einem tiefen Misstrauen gegenüber der Realität der modernen Arbeitswelt und Wirtschaft zeigte. Sie wurde als Hindernis für ein echtes geistliches Leben und für das Streben nach christlicher Vollkommenheit angesehen.

Genau hier setzt Josemaría Escrivás «katholische Wiederentdeckung» des gewöhnlichen Lebens an. Der hl. Josemaría denkt das geistliche Leben und das apostolische Wirken des Normalchristen gerade von der Welt und vom gewöhnlichen Leben in ihr her: «Die Welt ist nicht schlecht, denn sie ist aus den Händen Gottes hervorgegangen. […] Wir Menschen mit unseren Sünden und Treulosigkeiten sind es, die sie schlecht machen», heisst es in einer Predigt von 1967, veröffentlicht unter dem programmatischen Titel «Die Welt leidenschaftlich lieben».(6)

Aber wir Menschen – davon ist Escrivá überzeugt – können auch dazu beitragen, sie wieder gut zu machen, und zwar gerade durch die Arbeit. «Sie bringt Ermüdung, Mühsal, Erschöpfung mit sich», gewiss, doch ist sie «weder Leid noch Fluch, noch Strafe», ja, es «wird Zeit für uns Christen, laut und deutlich zu verkünden, dass die Arbeit eine Gabe Gottes ist».(7)

Gott ruft die «Männer und Frauen der Welt» dazu auf, «ihm gerade in den materiellen, weltlichen Aufgaben des menschlichen Lebens und aus ihnen heraus zu dienen. Im Labor, im Operationssaal eines Krankenhauses, in der Kaserne, auf dem Lehrstuhl einer Universität, in der Fabrik, in der Werkstatt, auf dem Acker, im Haushalt, in diesem ganzen unendlichen Feld der menschlichen Arbeit wartet Gott Tag für Tag auf uns.»(8)

Arbeit als Gottes- und Menschendienst

Die Arbeit ist für die Weltchristen der Weg, sich mit Jesus Christus zu vereinigen. Denn er, das Mensch gewordene Wort Gottes, hat dreissig Jahre lang in Nazareth gelebt und in der Werkstatt Josefs gearbeitet. In ihm zeigt uns Gott selbst den wahren Wert jeder Arbeit in ihrer oftmaligen Eintönigkeit und alltäglichen Banalität: Die menschliche Arbeit ist ein Ort, in dem diese Gottesliebe sich immer wieder neu inkarniert, ganz egal, wie «bedeutend» sie ist: «Ob ihr also esst oder trinkt oder etwas anderes tut: tut alles zur Verherrlichung Gottes» (1 Kor 10, 31)!

Escrivás Grundanliegen war in der Tat nichts weniger als die Einheit von Arbeit und Kontemplation. Die Arbeit selbst soll Gebet sein – Gottesdienst, wahre Opfergabe im Geiste zum Lobe Gottes,(9) Ausübung des allgemeinen Priestertums und persönlicher Weg des geistlichen Wachstums. Als gute, durch die Liebe geläuterte Arbeit ist sie aber zugleich und untrennbar davon auch wirklicher Dienst am Menschen und Apostolat, gereinigt durch ein aus der Gnade schöpfendes Bemühen um die Tugenden: Gerechtigkeit, Loyalität, Arbeitsamkeit, Grosszügigkeit, Loslösung, Tapferkeit, Mass, Demut …

Im hl. Thomas Morus sah Josemaría Escrivá dieses Ideal in einer auch für den modernen Menschen aktuellen Weise verwirklicht. Er war fasziniert von der Selbstverständlichkeit und schlichten Natürlichkeit, mit der dieser durch ein Leben als Familienvater und Rechtsanwalt im zumeist prosaischen, kräftezehrenden, versuchungsreichen, oft auch gefährlichen Getriebe dieser Welt zur vollkommenen Identifizierung mit Christus bis hin zu seinem Leiden am Kreuz fand und deshalb ein Heiliger wurde.

Und heute? Kapitalismus, Marktwirtschaft, Globalisierung prägen unsere Welt – und sie sind keineswegs schlecht, sofern sie nicht, durch Laster verunstaltet, zum Werkzeug von Egoismus, Habgier und Lieblosigkeit werden. Doch das Wachsen der sie überwindenden Tugenden bedarf wegen der Schwachheit der menschlichen Natur – theologisch gesprochen: wegen der Erbsünde – der Gnade, die aus der Liebe Christi kommt. Wir erhalten sie gemäss katholischer Auffassung nicht aus eigener Glaubens-Leistung; sie kommt uns, wie der barmherzige Vater dem verlorenen Sohn, kraft der Verdienste Christi in der Gestalt der Sakramente der Kirche entgegen.

Das geistliche Leben wird dann gerade in und durch seine gnadenhaft durchformte Weltlichkeit zum Vehikel, um alle irdischen Wirklichkeiten mit dem Geist Christi zu durchdringen und eine «Zivilisation der Liebe» (Paul VI.) zu errichten. Von solcher Art war für den hl. Josemaría «der Eifer, der uns verzehren soll: das Reich Christi zu verwirklichen, Hass und Grausamkeit auszutilgen, den heilsamen und friedbringenden Balsam der Liebe auf der Erde auszubreiten»,(10) nicht zuletzt eben durch unsere tägliche Arbeit, die, geheiligt, uns und die anderen heiligt, das heisst: uns mit Gott verbindet und dadurch die Welt verwandelt.

Prof. Dr. Martin Rhonheimer ist Priester der Prälatur Opus Dei und lebt in Zürich und Rom, wo er an der Päpstlichen Hochschule Santa Croce in Rom Ethik und politische Philosophie lehrt. Zum Thema des vorliegenden Artikels veröffentlichte er das Buch: Verwandlung der Welt. Zur Aktualität des Opus Dei. Köln 2006. Direkt bestellbar bei: www.adamasverlag.de bzw. www.amazon.de.

---------------------

(1) Der ganze Brief findet sich in deutscher Übersetzung als Anhang in: Thomas More: Utopia. Aus dem Lateinischen übersetzt von Alfred Hartmann. Basel 1947, 189–199.

(2) Charles Taylor: Quellen des Selbst – Die Entstehung der neuzeitlichen Identität. Frankfurt am Main 1994 und 1996, 381.

(3) «Während der Gebrauch des Ausdrucks «Berufung› in katholischen Kulturen normalerweise in Verbindung mit dem Priestertum oder dem Mönchsleben aufkommt, ist für die Puritaner auch die geringste Beschäftigung eine Berufung, vorausgesetzt, sie ist hilfreich für die Menschheit und von Gott zum Nutzen ausersehen. In diesem Sinne sind alle Berufe ebenbürtig, unabhängig von ihrer Stellung in der gesellschaftlichen Rangordnung (…).» (Ebd., 395).

(4) In: Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Tübingen 21922, 17–206.

(5) Vgl. dazu und zum Folgenden die ausführliche Argumentation im Kapitel «Bejahung der Welt und christliche Heiligkeit» meines Buches: Verwandlung der Welt. Zur Aktualität des Opus Dei. Köln 2006, 49–82.

(6) In dem Band: Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer. Köln 41992, 173–183.

(7) Josemaría Escrivá: Christus begegnen. Homilien. Köln 1978, Nr. 47, 123.

(8) Ebd. Nr. 114, 174 f.

(9) Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Lumen gentium, 34.

(10) Escrivá: Christus begegnen (wie Anm. 7), Nr. 183, 417 f.

von Martin Rhonheimer, Schweizerische Kirchenzeitung • 23. April 2009