„Wichtig ist, dass die Gläubigen des Opus Dei das Charisma in der Kirche ganz leben können.“

Seit November 1982 existiert das Opus Dei durch das päpstliche Dekret „Ut sit“ als Personalprälatur (siehe unten). Zu der Anpassung des Textes in diesem Jahr unter Papst Franziskus hat Prälat Fernando Ocáriz mehrere Interviews gegeben. Darin hat er die Einheit mit dem Heiligen Vater und der Weltkirche betont. Eine Auswahl:

Wie erleben Sie diesen Moment, in dem die Arbeiten mit dem Dikasterium für den Klerus begonnen haben, um den Vorschlag einer Modifikation der Statuten für den Heiligen Vater vorzubereiten?

„Man ist bemüht, die Verfügungen des Heiligen Vaters mit aufrichtigem kindlichem Gehorsam und mit dem Wunsch zu befolgen – Papst Franziskus selbst hat daran erinnert –, und dadurch die wesentlichen Aspekte des Geistes des Opus Dei, die sein Charisma ausmachen, zu bekräftigen. In mehreren an die Personen des Opus Dei gerichteten Botschaften habe ich ausdrücklich darum gebeten, dass alle ganz eins sein mögen – gerade in diesem aufrichtigen Gehorsam, damit wir uns auch darin an das Beispiel des heiligen Josefmaria und seiner beiden ersten Nachfolger halten. Es ist der Heilige Geist, der die Kirche lenkt. Deshalb geht es darum, auch in diesen Momenten mit Frieden und Gelassenheit zu leben.“

Agencia Ecclesia, Portugal, 19.10.2023

Wird sich die Beziehung der Laien zum Opus Dei ändern? Wird die „spezifische Berufung“ ein eigenes theologisch-kanonisches Statut in der Kirche finden müssen?

„In der Kirche kommt zuerst das Leben, dann die Norm. Oder – um es mit Worten von Papst Franziskus zu sagen: Die Wirklichkeit steht über der Idee. Gott hat dem Herzen des heiligen Josefmaria den Samen einer Botschaft eingepflanzt. Welcher Botschaft? Den Wert des gewöhnlichen Lebens der Gläubigen als Berufung wiederzuentdecken: Gott hat den Menschen die göttliche Aufgabe übertragen, die Welt aufzubauen – in Familie, Wohnort, Arbeit, Forschung, Kunst, Unterhaltung – als Kinder Gottes in Jesus Christus.

Zur Gründungsinspiration gehört, dass diese Botschaft in einem konkreten Geist verkündet und gelebt wird, und zwar mit Hilfe einer Institution: dem Opus Dei. Diese Institution, die sich im Lauf der Zeit entfaltet hat, war von Anfang an eine Familie innerhalb des Volkes Gottes, gebildet aus Frauen und Männern, Laien und Priestern, die in Einheit von Berufung, Bildung und Geist komplementär zu den Diözesen und Pfarreien und nicht in Konkurrenz zu ihnen wirken und dabei voll und ganz Laiengläubige ihrer jeweiligen Diözesen und Pfarreien bleiben. Das ist eine Wirklichkeit, die dem kirchenrechtlichen Rahmen vorausgeht und Seinsgrund des Opus Dei ist.“

Agencia Ecclesia, Portugal, 19.10.2023

Es hat den Anschein, dass die Maßnahme – das Motu proprio – das Spezifikum des Werkes innerhalb der katholischen Kirche auflöst. Ist das so?

„Gestatten Sie mir, dass ich freundlich widerspreche. Das Spezifikum des Opus Dei liegt mehr in seinem Charisma beziehungsweise seinem Geist als in seinem „rechtlichen Kleid“. Sein Kern ist die allgemeine Berufung zur Heiligkeit durch die Arbeit und die gewöhnlichen Wirklichkeiten des Lebens. In „Ad charisma tuendum“ bezeichnet der Papst diese Botschaft als „eine Gabe des Geistes, die der heilige Josefmaria empfangen hat“, also als ein Charisma. Ich wiederhole: Das ist das eigentlich relevante Spezifikum. In der Tat bekräftigt Papst Franziskus die Bulle Ut sit, mit der Johannes Paul II. das Opus Dei als Prälatur errichtet hat. Er modifiziert zwei akzidentelle Aspekte und bestätigt das wesentliche Charisma.

Charakteristisch für das Opus Dei ist etwas so Gewöhnliches wie die Arbeit: die Bedeutung der Arbeit als Ort der Begegnung mit Gott, gleichgültig ob das in Silicon Valley oder in den Vorstädten von Kinshasa geschieht, ob jemand als Maschinist in der Untergrundbahn von Madrid tätig ist oder als Lehrer beziehungsweise Lehrerin in einer Schule an der Peripherie einer beliebigen Großstadt.

Außerdem will das Opus Dei innerhalb der Kirche keine Ausnahme sein. Die juristischen Vorschläge waren die Suche nach einer Formel, die der Wirklichkeit von Laien gerecht wird, die aufgrund der Berufung, die sie empfangen haben, und mit der pastoralen Betreuung der Priester in den familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Wirklichkeiten undsoweiter Christus nachfolgen wollen, und zwar innerhalb ihrer jeweiligen Teilkirchen. Die Tatsache, dass das Opus Dei bisher die einzige Personalprälatur war, konnte als „außergewöhnlich“ empfunden werden, ist es aber nicht. Im Gegenteil, ich denke, es wäre sehr gut, dass es andere Personalprälaturen gibt, die zur Evangelisierung vieler Bereiche beitragen, die besonders der christlichen Inspiration bedürfen.“

El País Semanal, Spanien, 27.8.2023

Einige Mitglieder der Prälatur haben in den Medien und den sozialen Netzwerken Fragen und Sorgen in dieser Sache geäußert. Verstehen Sie diese Äußerungen, besonders jene, die von einem Angriff sprechen? Fürchten Sie, dass manche das Opus Dei instrumentalisieren, um Widerstand gegen den Papst zu schüren?

„Es ist verständlich, dass Fragen, Zweifel und Sorgen auftreten, auch aufgrund mancher Interpretationen, die veröffentlicht wurden und aus weltlicher Sicht die Dinge so darstellen, als ginge es um eine Frage von „Gewinn oder Verlust von Macht“, was innerhalb der Kirche keinen Sinn hat.

In meinem ersten Brief als Prälat schrieb ich: „Die gegenseitige Wertschätzung der Gläubigen in der Kirche und in den verschiedensten Gruppierungen zu stärken, ist Teil unserer Sendung in der großen Familie der Söhne und Töchter Gottes.“ Und ich zitierte einen Satz des Gründers: „Unser wichtigstes Apostolat als Christen, das beste Glaubenszeugnis gegenüber der Welt, besteht darin, dass wir innerhalb der Kirche für eine Atmosphäre echter Liebe sorgen.“

In diesem Zusammenhang habe ich manchmal an eine Begebenheit mit dem damaligen Kardinal Ratzinger erinnert, dessen fest im Glauben verankerte Liebe zur Kirche und zum Papst mehr war als ein Gefühl. In einem heiklen Moment für die Einheit der Kirche, die einige damals in Gefahr brachten, habe ich gehört, wie es ihm aus dem Grunde des Herzens kam: „Sie begreifen nicht, dass sie ohne den Papst nichts sind!““

Agencia Ecclesia, Portugal, 19.10.2023

Einige sprechen von der Abschaffung eines Privilegs, von einer gewissen Degradierung oder von der Geste einer progressiven Kirche gegen eine konservative Welt. Von einem alten Konflikt zwischen den Jesuiten und dem Opus Dei.

„Als man Papst Franziskus eine ähnliche Frage stellte, verwies er darauf, dass das eine der religiösen Dimension fremde, weltliche Interpretation sei. Ich denke, man tendiert allzu häufig zu einer Deutung der Realität im Sinne von Macht und Polarisation, mit Gruppen, die sich in Opposition zueinander befinden und sich nicht verstehen. In der Kirche muss die herrschende Logik die des Dienstes und der Zusammenarbeit sein. Wir rudern alle im selben Boot und sind offen dafür, dass man uns hilft, besser zu werden.

Was den alten Konflikt betrifft, den sie erwähnen, kann ich Ihnen persönlich sagen, dass ich ehemaliger Schüler des Jesuitengymnasiums in Madrid bin und sehr dankbar für die Bildung und das Beispiel, die ich von den Jesuiten erhalten habe.“

El País Semanal, Spanien, 27.8.2023

Wie sieht der Entwurf der Statuten aus, die Sie dem Papst vorgelegt haben, und wie haben Sie in dieser Frage gearbeitet? Was wird von jetzt an anders sein?

„Im April haben wir einen Generalkongress des Opus Dei abgehalten, auf dem ein Vorschlag für die Statutenanpassung, um die der Papst ausdrücklich gebeten hatte, vorbereitet wurde, um ihn dem Heiligen Stuhl vorzulegen. Bei dieser Arbeit haben wir uns von zwei fundamentalen Kriterien leiten lassen: das Charisma des heiligen Josefmaria und die Zustimmung zum ausdrücklichen Willen des Heiligen Vaters. Dem im Motu proprio geäußerten Wunsch des Papstes entsprechend hat man versucht, die charismatische Dimension des Opus Dei klar herauszustellen, die in Gemeinschaft mit den Teilkirchen und den Bischöfen, die ihnen vorstehen, gelebt und verwirklicht wird. Die Approbation und Promulgation dieser Änderungen ist allerdings Sache des Heiligen Stuhles. Es ist daher logisch, dass ich keine weiteren Details hinzufüge.“

El País Semanal, Spanien, 27.8.2023

Wird dieser Moment helfen, das ursprüngliche, vom heiligen Josefmaria vorgelegte Charisma wiederzugewinnen?

„Es geht nicht darum, es wiederzugewinnen, denn es ist nicht verlorengegangen oder entstellt worden, sondern darum, es tief zu erfassen und sich weiterhin zu bemühen, ihm treu zu leben. In diesem Sinn vertrauen wir darauf, dem Aufruf des Heiligen Vaters zu entsprechen: das Charisma des Opus Dei zu bewahren, so dass wir es mit derselben Frische, mit der es uns der heilige Josefmaria übergeben hat, in die Zukunft tragen können. Dass wir uns also mehr dafür einsetzen, „die Berufung zur Heiligkeit in der Welt durch die Heiligung der Arbeit und der familiären und sozialen Verpflichtungen zu verbreiten“ (Motu proprio „Ad charisma tuendum“).“

Agencia Ecclesia, Portugal, 19.10.2023

Wie haben Sie die Veränderung der Abhängigkeit vom Heiligen Stuhl interpretiert, die der Papst mit dem Motu proprio „Ad charisma tuendum“ vornimmt? Der Papst erklärt, dass er wünscht, dass sich die Autorität „mehr auf das Charisma als auf die hierarchische Autorität stützt“.

„Charisma und Hierarchie ergänzen einander in der Kirche. Es handelt sich nicht um alternative, sondern um komplementäre Größen. Die Charismen haben ihre Seinsgrundlage im Dienst, den sie der Kirche als ganzer leisten. Daher werden sie gewöhnlich, um sie in der Kirche und in der Welt zu verbreiten, in institutionellen Einrichtungen umgesetzt.

Die Unterscheidung der Charismen ist Sache der Autorität der Kirche, und von der Autorität der Kirche war das Opus Dei in jedem seiner institutionellen Schritte abhängig. Mit der Kurienreform hat Papst Franziskus Änderungen an einer großen Zahl von Institutionen und Einrichtungen vorgenommen, um eine dynamische Evangelisierung zu fördern. Das ist der Zweck des Motu proprio, das sie erwähnen. Deshalb arbeiten wir, um dieser Bitte des Papstes treu zu entsprechen. Wir wissen – um ein Beispiel zu nennen –, dass es nicht wesentlich ist, ob der Prälat ein Pektorale trägt, sondern dass die Gläubigen des Opus Dei und andere Personen dieses Charisma in der Kirche ganz leben können.“

El País Semanal, Spanien, 27.8.2023


Am 28. November 1982 hat der heilige Johannes Paul II. das Opus Dei als Personalprälatur errichtet. Dies geschah durch die Apostolische Konstitution Ut sit, die dem seligen Álvaro del Portillo, der damals der erste Prälat des Opus Dei war, am 19. März 1983 übergeben wurde. Im Jahr 2022 hat Papst Franziskus durch das Motu proprio Ad charisma tuendum (14. Juli 2022) die Artikel V und VI von Ut sit modifiziert und zugleich die wesentlichen Aspekte dieser Apostolischen Konstitution bestätigt. Aus Anlass des 40. Jahrestages des Dekrets „Ut sit“ wurden diese Antworten, die Prälat Fernando Ocáriz in letzter Zeit in Interviews zum Motu proprio Ad charisma tuendum und der darin angeregten Revision der Statuten des Opus Dei gegeben hat, zusammengestellt.