Die Freiheit war für den hl. Josefmaria stets von großer Bedeutung

Glaube und Freiheit, nach heute weit verbreiteter Auffassung stellen sie unüberbrückbare Gegensätze dar. Doch das Gegenteil ist der Fall. Fernando Ocariz, der Prälat des Opus Dei, hat dafür in seinem Hirtenbrief vom Januar 2018 ein wachrüttelndes Zeugnis gegeben. – Von Burkhardt Gorissen

Foto : Hugo Mabboux

Die Sätze des Pastoralbriefes dringen tief auf den Seelengrund jedes Lesers, deshalb lassen sie keinen unberührt, der aufrichtig liest. Man merkt gleich, jeder Satz, jedes Wort, ist vom Heiligen Geist durchprägt, vom Geist der Freiheit. Man kann ihn förmlich mit den Händen greifen. „Ich folge dabei der Lehre des heiligen Josefmaria, der sein ganzes Leben lang in die Freiheit verliebt war“, schreibt Fernando Ocariz. Datiert ist sein Brief auf den 9. Januar, den Geburtstag des Gründers. Für den heiligen Josefmaria war die Freiheit stets von herausragender Bedeutung: „Ich werde nicht müde zu wiederholen, dass eins der deutlichsten Merkmale des Geistes des Opus Dei die Liebe zur Freiheit und zum Verständnis ist“[1].

Es ist kein Zufall, dass der Ruf Gottes an den Josefmaria Escrivá erging. In den 1920er Jahren manifestierte sich in der westlichen Welt zusehends eine materialistische Weltanschauung. Totalitäre Systeme breiteten sich aus, neue technische Errungenschaften gaukelten den Menschen vor, sie selbst seien Meister ihres Schicksals. Eine auf Hochtouren laufende Produktion und steigender Konsum erweckten die Hoffnung, die Welt ließe sich nach persönlichen Wunschvorstellungen umgestalten. Die Metropolen mit ihren grellen Verlockungen, die Vorstellung von einer operettenhaften Gewichtslosigkeit des Daseins und die zunehmende Gesichtslosigkeit, in die die Massengesellschaft das anonym gewordene Individuum trieb – das alles schien einem mächtiger Fortschritt zu sein, der alles bis dato Dagewesene in den Schatten stellte und eine Warenhauswelt mit kunterbunten Angeboten schuf, wo jeder nur nach Belieben zuzugreifen brauchte. Unterstützt wurde diese Weltsicht durch gesellschaftliche Bewegungen, die von einer schlagzeilenheischenden Zeitungsindustrie protegiert wurden, gleich ob sie auf humanitären, libertären, sozialistischen oder nationalistischen Irrtümern fußten. Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte die Wechselwirkung von Skandal und Libertinage ihren ersten großen Boom. Alles zerfloss in der Nervosität von Charleston und Konsum. Filmtempel und Varieteetheater gaben den Menschen die angenehme Illusion, sie selbst seien Zentrum allen Seins, ohne auf irgendetwas anderes als die eigenen Wünsche Rücksicht nehmen zu müssen, geschweige denn in irgendeiner Weise Rechenschaft schuldig zu sein. Kaugummislogans wie „Erlaubt ist, was gefällt“ oder „Man lebt nur einmal“ stammen aus dieser Zeit. Die Freiheit schien zur Ware geworden zu sein, nach eigenem Gutdünken verhandelbar, genießbar nach eigenem Gusto. Sowohl der Kommunismus als auch der Nationalsozialismus benutzten dieses kleine Wort „Freiheit“, um dessen Sinn völlig zu entwerten: In Kampfliedern zersungen, von Marschstiefeln zertreten – ein Larve gewordenes Nichts. In den 1920er Jahren offenbarte der Schock der Moderne erstmals überdeutlich, dass Freiheit ein inhaltsloser Begriff wird, sobald das Wesentlichste, das Element göttlicher Liebe fehlt. Sie bleibt dann wie das Feuer der prometheischen Fackel, ein kurzes Aufflackern ohne Widerschein.

Genau in dieser Zeit erhält der Heilige Josefmaria von Gott den Auftrag, das Opus Dei zu gründen. Zufall ist das nicht. Allerdings legte der Gründer von Anfang an großen Wert darauf, dass sich das Werk nicht den Defiziten einer bestimmten Epoche oder gar eines Landes verdankt, sondern dass sein Gründungsauftrag, allen Christen den Weg der Alltagsheiligung neu zu bahnen, „universal“ ist. Doch gerade so war das Werk damals, ist es heute und bleibt in der Zukunft ein Hoffnungsschimmer am grauen Himmel jedweden geistverneinenden Materialismus. „Wer sich nicht als Sohn Gottes weiß, kennt nicht die innerste Wahrheit seines Seins“[2], stellt der heilige Gründer dem Materialismus entgegen. Denn die Freiheit aller rein weltlichen Bestrebungen meint immer eine Freiheit von etwas. Sie will, wie die Französische Revolution, rebellische Auflehnung. Mit ihr gehen Gewalt, Willkür und Hochmut einher. Doch wie könnten wir frei sein, wenn wir uns von Gott trennen? Nur Gott kann wirkliche Freiheit schenken. Sie ist immer für etwas und unterscheidet sich gravierend von allen bloß menschlichen Bestrebungen, die immer im Ansatz stecken bleiben müssen, weil sie das Allumfassende gar nicht erfassen können. Es geht, und das wird durch den heiligen Josefmaria von Anbeginn an deutlich, nicht um einen beliebigen Freiheitsbegriff, sondern um die Tatsache, dass wir zur Freiheit berufen sind. Doch diese Freiheit ist kein Selbstzweck, sie kann immer nur an Gott gekoppelt sein, weil sie der Inbegriff göttlicher Liebe ist. „Gott hat uns fähig gemacht, das Gute zu wählen und zu lieben und auf seine Liebe mit Liebe zu antworten“, schreibt der Prälat in seinem Januarbrief, und im Rückgriff auf das Buch ‚Christus begegnen‘, verweist er darauf, dass das Wort Gottes von Anfang an ein beherzter Appell an unseren Mut zur Freiheit ist: „Die Schöpfung selbst ist Manifestation der göttlichen Freiheit“, denn Gott „will keine Sklaven, sondern Kinder“[3].

Wie gern verdrängen wir die Tatsache, dass uns der Schöpfer zu sich hin erschaffen hat – und in die totale Freiheit hinein. Frei, in allem, was wir tun. Der heilige Augustinus beschreibt es so: „Liebe und tu, was du willst“. Es ist nicht das „Tu was du willst“ der Schwarzmagier, das uns in der populären Kultur unserer Tage so oft entgegentönt. In unseren kindlichen Unabhängigkeitswünschen träumen wir oft davon, allmächtig zu sein. Doch das entscheidende Element, auf das es ankommt, ist nicht das Tun um unseres Egos Willen, sondern das Tun um der Liebe Willen. Es ist nicht der Vollzug eigensüchtiger Bestrebungen, sondern der Vollzug des göttlichen Willens. Die wahre Freiheit des Geistes offenbart sich doch erst in der Bereitschaft, das zu tun, was Gott von uns möchte. Unsere Gotteskindschaft erst bewirkt, dass sich unsere Freiheit mit all der Kraft entfalten kann, die Gott in sie hineingelegt hat. „Wir sind nicht frei, wenn wir uns vom Haus des Vater trennen, sondern wenn wir uns als Kinder Gottes annehmen“, heißt es im Brief des Prälaten Ocariz.

Auch die Freude ist ein Zeichen geistiger Freiheit. Aus dieser Überzeugung sagte der Gründer: „Im menschlichen Bereich möchte ich euch als Erbe die Liebe zur Freiheit und den Humor hinterlassen“[4]. Liebe zur Freiheit und Humor? Was als allzu großer Gegensatz aufscheint, offenbart bei näherer Betrachtung eine große Deckungsgleichheit. Wer erblickt nicht die Heiterkeit von Gottes Schöpfung, wenn sie sich im frühlingshaften Erblühen frei entfaltet? Die heitere Schönheit, die uns übermannt, wenn wir den nächtlichen Sternenhimmel betrachten. Oder vielleicht auch nur die wunderbare Heiterkeit spielender Kinder, ihr befreiendes Lachen, ihre Unmittelbarkeit, ihre natürliche Nähe zu Gott. All das lacht uns entgegen, beschenkt uns mit einem natürlichen Frohsinn. Die Heiterkeit der Schöpfung eben.

Es gibt einen weiteren Aspekt, der unsere Freiheit definiert. Der Prälat des Opus Dei verweist darauf, dass der Gehorsam gegenüber Gott nicht nur ein freier Akt ist, sondern auch ein befreiender. Die biblische Geschichte ist voll von Beispielen: Kain und Abel, Abraham und Isaac, und natürlich die Versuchung im Paradies. Sobald der Mensch die Liebe Gottes zurückzuweist, sieht er Gottes Netzwerk der Liebe nicht mehr. Oder er spürt seine eigene Beschränkung, die er fälschlicherweise für ein Verdikt Gottes hält: „Ich will mein volles Freiheitsrecht! / Find ich die g‘ringste Beschränknis, / Verwandelt sich mir das Paradies / In Hölle und Gefängnis“[5], schreibt Heine. Diese Mischung aus verletzter Eitelkeit, pubertärem Trotz und narzisstischem Hochmut gibt ein beredtes Beispiel für die geistige Malaise an der unsere Welt gegenwärtig krankt. Vielleicht ist es eine der gröbsten Fehlinterpretationen unserer meinungsgestaltenden Intellektuellen, dass sie in der Religion ein geistiges Zwangskorsett sehen, wo doch die Freiheit des Glaubens die größtmögliche intellektuelle Freiheit gewährleistet. Das zentrale Paradox des Glaubens ist jedoch für die meisten Heutigen kaum nachvollziehbar, nämlich, dass das Geheimnis des Glücks darin liegen kann, auf das Recht auf Glück zu verzichten und sich ganz der liebenden Hand des Vaters zu überantworten. Unsere menschliche Schwachheit mag scheinbar durch unsere vermeintliche Herrschaft über die Natur sanktioniert sein, doch der Fortschritt der Wissenschaft muss irgendwann vor den Grenzen dieses Fortschritts kapitulieren. Demut ist noch immer der Motor aller Freiheit. Daran führt kein Weg vorbei.

Was für die philosophische Definition gilt, gilt erst recht für unseren Alltag. Geht es doch darum, alles Tun zu heiligen. Prälat Ocariz zitiert aus einem Brief Escrivás: „Es ist falsch zu denken, man könne nur die Arbeit mit Freude tun, die einem gefällt“[6]. Alles, was wir tun ist nur halb getan, wenn es nicht aus Liebe geschieht. Und Liebe ist, siehe oben, eine Manifestation der Freiheit. Der Geist des Opus Dei lebt aus ebendieser Freiheit. Gehorsam ist der elementare Prozess, bei dem sich die völlige Freiheit herauskristallisiert, indem unser innerster Seelenwunsch vitalisiert wird, von dem wir selbst nur ahnen. Der Blick auf die Jungfrau Maria zeigt deutlich, wie sich diese hinschenkende Form der Freiheit entfaltet: „Mir geschehe nach deinem Wort! – als die Frucht der höchsten Freiheit, der Freiheit, sich für Gott zu entscheiden“, heißt es in „Freunde Gottes“. Auf wunderbare Weise deckungsgleich drückt es Papst Franziskus aus: „Von Maria, die voll der Gnade ist, lernen wir, dass die Freiheit des Christen mehr ist als Befreiung von der Sünde. Es ist vielmehr die Freiheit, die uns die irdischen Wirklichkeiten in einem neuen geistlichen Licht sehen lässt, die Freiheit, Gott und die Nächsten mit reinem Herzen zu lieben und in froher Hoffnung auf das Kommen des Reiches Christi zu leben“[7].

In einem Zeitalter, in dem sich viele Menschen für desillusioniert und gleichzeitig omnipotent halten, scheint das lebendige Wort Gottes hinter der Illusion von der Herrschaft des Menschen zu verschwinden. Der Schein trügt, denn der Drang zu wirklicher Freiheit wird immer der intellektuellen Selbstzufriedenheit weichen. Auch wenn wir es manchmal noch verdrängen können, der Abschied von der bequemen Vorstellung, unsere menschlichen Ziele müssten mit dem göttlichen Willen zusammenfallen, drückt nichts anderes aus, als eine geistig-seelische Begrenzung. „Alle Versprechungen der Befreiung, die es im Laufe der Jahrhunderte gegeben hat, sind echt in dem Maß, in dem sie in der Wahrheit über Gott und den Menschen ihre Wurzeln haben“, schreibt der Prälat des Opus Dei in seinem Hirtenbrief. „Die Wahrheit ist eine Person: Jesus, der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Das allein drückt die wirkliche Freiheit aus.


[1] Hl. Josefmaria, Brief 31.05.1954, Nr. 22.

[2] Freunde Gottes, Nr. 26.

[3] Christus begegnen, Nr. 129.

[4] Hl. Josefmaria,Brief 31.05.1954, Nr. 22.

[5] Heinrich Heine, „Adam der Erste“.

[6] Heiliger Josefmaria, Brief 29.12.1947, Nr. 106.

[7] Papst Franziskus, Homilie, 15.08.2014.