Fronleichnam: Wann der Aufwand der Prozession Gott ehrt

Das öffentliche Bekenntnis zur realen Gegenwart Gottes öffnet unser Herz für die Bedürfnisse unserer Mitmenschen. – Von Andreas Kuhlmann

Fronleichnam ist ein augenfälliges Fest der Eucharistie für die katholischen Christen: Jesus Christus wird verehrt und angebetet, besungen und bekniet in einem Stück Brot, von dem er damals gesagt hat, er sei es selbst, es sei sein Fleisch für das Leben der Welt (vgl. Joh 6,51). Vielerorts werden Blumenteppiche gelegt für einen König, der sich heute noch zurückhaltender präsentiert als damals beim feierlichen Einzug in Jerusalem. Einmal mehr stehen wir vor einem Geheimnis unseres Glaubens.

Dass Jesus Christus nach seiner Himmelfahrt wirklich bei seinem Vater thront und die Welt von dort aus durch seine göttliche Macht und Liebe regiert, das wissen wir, weil wir ihm glauben. Und dass der Heilige Geist – seinem Wesen nach völlig unsichtbar – den menschlichen Verstand erleuchtet und jedes Herz aus Stein radikal beleben kann, auch das glauben wir, obwohl sein wunderbares Wirken in der Schöpfung eigentlich jedem Menschen ersichtlich ist (vgl. Röm 1,20). Aber das heutige große Fest fordert den christlichen Glauben zusätzlich heraus und verlangt nach furchtlosem öffentlichen Bekenntnis des menschgewordenen Gottes, der verborgenen und doch real gegenwärtig ist. Der ganze Glaube an Jesus Christus gipfelt sozusagen in staunender Anbetung des großen Gottes, der sich geheimnisvoll klein macht.

Das Lied „Kommt, lasset uns anbeten“ hat auch hier seinen Platz, das wir sonst zu Weihnachten auf dem Weg zur Krippe singen, um das Jesuskind anzubeten, das uns mit den natürlichen Augen wie jedes neugeborene Menschenkind erscheint. Nur der demütige Glaube öffnet den Zugang zur vollen Wirklichkeit dieses Menschen, der die entscheidende Wende der Menschheitsgeschichte bewirkt hat, und lässt uns bekennen: Er ist der Erlöser der Welt, der Sohn des lebendigen Gottes! Ähnlich verhält es sich mit dem eucharistischen Brot, das an Fronleichnam durch die Straßen der Dörfer und Städte getragen wird. Nur der Glaube erschließt unserem geistigen Auge die unerhörte Tatsache, dass in diesem Stück Brot der Heiland sakramental zugegen ist.

„Nur anbetend finden wir einen Zugang zum Geheimnis, das wir heute feiern. Wenn die Israeliten die geheimnisvolle göttliche Gegenwart im Offenbarungszelt und dann im Tempel mit Zeichen großer Ehrfurcht umgaben, auch wenn sie nur Schatten oder Vorausbilder der Gegenwart Gottes im Neuen Bund waren, um wie viel mehr müssen wir uns hilfesuchend, demütig und dankbar vor dem Geheimnis niederwerfen! Neben der Sequenz der heutigen Liturgie, die wir eingangs betrachtet haben, ist der im dreizehnten Jahrhundert von Thomas von Aquin geschriebene Hymnus ‚Adoro te devote‘ eine wunderbare Zusammenfassung des Glaubens an die Eucharistie. ‚Gottheit, tief verborgen, betend nah´ ich dir. Unter diesem Zeichen bist du wahrhaft hier. Sieh, mit ganzem Herzen schenk´ ich dir mich hin, weil vor solchen Wunder ich nur Armut bin.‘ […] Fronleichnam … Vor dem Tabernakel denken wir an das Kreuz und an die Hingabe Jesu um unseres Heiles willen, an Gottes Hinabsteigen zu uns: ‚Einst am Kreuz verhüllte sich der Gottheit Glanz, hier ist auch verborgen seine Menschheit ganz.‘ Wir hatten unseren Verstand vor Gottes Weisheit gebeugt, jetzt beugen wir den Willen, der allzu oft selbstmächtig sein möchte, und bekennen – wehrlos ihm ausgeliefert –, dass nur seine Gnade die Kraft des Ausharrens schenken kann: ‚Wie der Schächer ruf´ ich, Herr, um Gnad´ zu dir.‘ Wir machen uns diese Bitte zu eigen und verbinden sie mit der Bitte des Apostels Thomas, die zugleich Bekenntnis, Reue und Liebe ist: ‚Mein Herr und mein Gott!‘ “ (Josef Arquer, Meditationen für jeden Tag, Bd. 10, S. 287ff.)

Wenn der Mensch die Größe Gottes ehrfürchtig anerkennt und angesichts der eigenen Winzigkeit staunend auf den Schöpfer blickt, entspricht dies der inneren Wahrheit des Menschen und seiner Berufung, Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst (vgl. Mk 12,29-31). Wer voller Hochachtung vor Gott auf die Knie fällt, der vermag auch, jeden anderen Menschen als Abbild Gottes zu achten, statt sich vermessen über seine Mitmenschen zu erheben – bis hin zu Hass und Mord. Wahre Anbetung macht realistisch und rücksichtsvoll, macht demütig. So ist Fronleichnam nicht nur eine Schule der Anbetung Gottes, sondern auch der Menschlichkeit. Der Apostel Johannes warnt: „Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (1Joh 4,20). Ehren wir also den unsichtbaren Gott, ehren wir auch den sichtbaren Menschen. Wir erinnern uns an Jesu Worte vom Weltgericht: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Und: „Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.“ (Vgl. Mt 25,40 u. 45)

Deshalb kann Gott das Hochfest Fronleichnam nur „Freude bereiten“, zur Ehre gereichen, wenn wir unser Herz offen halten für die Bedürfnisse unserer Mitmenschen – und christlich darauf reagieren. Duftender Weihrauch und schöner Gesang müssen Hand in Hand gehen mit der Liebe zum Nächsten, denn Gott ließ sein Volk durch den Propheten Hosea wissen: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!“ (Mt 9,13). Nur so wird aller Aufwand einer feierlichen Prozession ein willkommenes Opfer. Das Fest der Eucharistie zeigt uns, dass Gottes Liebe alle Grenzen überschreitet, dass er in Jesus Christus Mensch wurde und zugleich als Gott bei uns bleibt, seit er sich tagtäglich in ein bisschen Brot herablässt. Sein Opfer am Kreuz „für uns Menschen und zu unserem Heil“ (Messbuch, Credo) reicht über den Altar hinein in den Tabernakel und hinaus in die Welt: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (Joh 1, 29)