Eine christliche Familie

Er dachte immer mit Dankbarkeit daran zurück, wie seine Eltern ihn Schritt für Schritt in das christliche Leben eingeführt hatten.

Die Eltern: José Escrivá (1867-1924) und Dolores Albás (1877-1941).

Er dachte immer mit Dankbarkeit daran zurück, wie seine Eltern ihn Schritt für Schritt in das christliche Leben eingeführt hatten.

Als der kleine Josefmaria zwei Jahre alt war, erkrankte er schwer. Er hatte eine Infektion bekommen, die nach Einschätzung des Arztes tödlich war. Um ihn herum wurde es still im Haus der Escrivás. Nachdem Doktor Camps alles versucht hatte, faßte er sich ein Herz und sagte zum Vater: »Er wird die Nacht nicht überstehen.«

Doch José Escrivá und seine Frau Dolores Albás waren gläubige Christen und beteten voll Vertrauen zu Gott um die Genesung ihres Jungen. Seine Mutter versprach der Muttergottes, daß sie im Falle seiner Heilung mit ihm eine Wallfahrt zur Kapelle von Torreciudad unternehmen würde, die auf einem jener Gebirgskämme in den Ausläufern der Pyrenäen lag.

Am folgenden Tag suchte der Arzt die Familie wieder auf. »Um wieviel Uhr ist das Kind gestorben?« fragte er. Und der Vater antwortete in überschwenglicher Freude: »Es ist nicht nur nicht gestorben, es scheint sogar vollkommen gesund zu sein!«

So bald wie möglich lösten die Eltern ihr Versprechen ein und brachten den kleinen Josefmaria über die engen und steilen Pfade der Pyrenäen zum Wallfahrtskirchlein. Es war sein erster Besuch bei der Muttergottes von Torreciudad. Seine Mutter sagte später zu ihm: »Mein Sohn, die Muttergottes hat dich für etwas Großes in der Welt gelassen, denn du warst mehr tot als lebendig.«

Seine Eltern

Am 9. Januar 1902 war Josefmaria in Barbastro, einer kleinen Stadt im nördlichen Aragonien, zur Welt gekommen. Sein Vater war ein junger aufstrebender Textilkaufmann mit festen christlichen Grundsätzen, den jeder in der Stadt kannte und schätzte. Die Mutter lebte ganz für die Familie und kümmerte sich hingebungsvoll um die beiden Kleinen, Carmen und Josefmaria. Später kamen weitere Kinder hinzu: Asunción (genannt Chon), Lolita, Rosario und schließlich, Jahre später, Santiago.

Das Zuhause der Escrivás war ein Ort des Friedens, den die Liebe zu Gott bis in die Kleinigkeiten des Alltags hinein erfüllte. »Ich denke an jene hellen Tage meiner Kindheit zurück«, erzählt er selbst: »Meine Mutter, mein Vater, meine Geschwister und ich gingen immer zusammen zur heiligen Messe. Mein Vater gab uns ein Geldstück, das wir dann freudig dem verkrüppelten Mann gaben, der am Bischofspalast saß. Danach tauchte ich die Finger ins Weihwasser, um es an die anderen weiterzugeben. Dann begann die heilige Messe … Hinterher beteten wir jeden Sonntag in der Kapelle des Wundertätigen Christus ein Glaubensbekenntnis.« Und die Gebete zu Hause, die man nie vergißt: »Noch heute bete ich morgens und abends die Gebete, die meine Mutter mich gelehrt hat. Ihr verdanke ich meine ganze Frömmigkeit. Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, brachte meine Mutter mich zu ihrem Beichtvater, und ich habe mich immer gerne daran erinnert …« Kurze Zeit später ging er am 23. April 1912, dem Fest des heiligen Georg, zur ersten heiligen Kommunion, wie es in Aragonien üblich war.

Vater José verbrachte viel Zeit mit seinen Kindern. Der kleine Josefmaria konnte es kaum erwarten, daß er nach Hause kam, und durchwühlte zur Begrüßung seine Taschen auf der Suche nach mitgebrachten Süßigkeiten. Wenn sie im Winter zusammen spazierengingen, kaufte sein Vater Röstkastanien, und das Kind hatte immer das größte Vergnügen daran, seine Händchen in die von den Maronen gewärmten Taschen des väterlichen Mantels zu stecken.

Geburtshaus von Josemaría Escrivá in Barbastro, Nordspanien.

Die Mutter war eine fleißige und fröhliche Frau. »Ich erinnere mich nicht, sie jemals untätig gesehen zu haben. Sie war immer beschäftigt: sie strickte, nähte oder flickte Kleidungsstücke, sie las … Ich kann mich nicht erinnern, daß sie jemals die Hände in den Schoß gelegt hätte. Deswegen war sie aber keine seltsame Person – sie war wie die anderen, liebenswert, die gute Mutter einer christlichen Familie.«

»Als ich klein war, störten mich zwei Dinge besonders: den Freundinnen meiner Mutter, die zu Besuch kamen, einen Kuß geben und neue Kleider anziehen. Wenn ich neue Sachen anziehen sollte, versteckte ich mich unter dem Bett und weigerte mich trotzig, hervorzukommen … Dann klopfte meine Mutter mit einem der Spazierstöcke meines Vaters ein paar Mal leicht und sanft auf den Boden, und schließlich kroch ich hervor – aus Angst vor dem Stock, aus keinem anderen Grund.

Meine Mutter sagte dann liebevoll zu mir: ›Josefmaria, schämen sollst du dich nur vor der Sünde!‹ Erst viele Jahre später habe ich den tiefen Sinn dieser Worte verstanden.«

Unerwartetes Schweigen

So spielte sich das Leben in der Familie ab. Doch das Leid ließ nicht lange auf sich warten. 1910 starb Rosario. Sie war erst neun Monate alt. Zwei Jahre später starb Lolita im Alter von fünf Jahren. Und im Jahr darauf starb die achtjährige Chon. Erschüttert von diesen Unglücksfällen sagte Josefmaria zu seiner Mutter, ohne daran zu denken, daß er ihren Schmerz damit noch größer machte: »Nächstes Jahr bin ich an der Reihe.«

»Mach dir keine Sorgen«, tröstete sie ihn, und um ihn zu beruhigen, fügte sie hinzu: »Du bist der Muttergottes geweiht, und sie wird dich beschützen.«

In derselben Zeit geriet José Escrivá durch das Verhalten eines Geschäftspartners beruflich in Schwierigkeiten. Die Familie war ruiniert, obgleich die Eltern sich alle Mühe gaben, es vor ihren Kindern zu verbergen.

Jahre später fand Josefmaria eine übernatürliche Erklärung für diese schmerzlichen Ereignisse: »Ich habe meiner Umgebung immer großes Leid zugefügt. Nicht daß ich irgendwelche Katastrophen ausgelöst hätte, nein, aber ich war der Nagel, und der Herr wollte mich schmieden, und so – vergib mir, Herr! – traf er mit einem Schlag zwar den Nagel, doch hundert andere trafen das Hufeisen. Für mich war mein Vater ein zweiter Hiob. Innerhalb weniger Jahre verlor er drei Kinder, eines nach dem anderen, und stand völlig mittellos da.

Doch wir machten weiter. Mein Vater in heroischer Weise, denn er litt nun – wie ich inzwischen begriffen habe – an jener klassischen Krankheit, die nach Ansicht der Ärzte durch großes Unglück oder großen Kummer verursacht wird. Zwei Kinder und meine Mutter waren ihm geblieben, und er mühte sich nach Kräften und war sich für nichts zu schade, um uns anständig zu versorgen. Er hätte eine für diese Zeiten glänzende Anstellung haben können, wenn er sich nicht als Christ und als Mann von Ehre verhalten hätte, wie man bei uns zulande sagt (…). Nie habe ich erlebt, daß er ein finsteres Gesicht machte; in meiner Erinnerung war er immer heiter und fröhlich. Als seine Kräfte aufgezehrt waren, starb er: Er ist nur 57 Jahre alt geworden, aber er hat immer gelächelt.«

Sicherlich haben diese Erlebnisse mit dazu beigetragen, daß der heilige Josefmaria später die christlichen Eltern dazu aufrief, ihren Familien ein helles und fröhliches Zuhause zu bieten. Die Ehe, so sagte er, ist »zu einem göttlichen Weg, zu einer Berufung geworden, und daraus erwachsen zahllose Folgen für die persönliche Heiligung und das apostolische Wirken«.