Die Oster-Wende

Ostergedanken von Jürgen Eberle

Ich bin es

„Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war“ (Joh 20,1). – Die Oster-Evangelien beginnen alle ganz un-österlich: Die Frauen gehen voller Schmerz und Trauer zum Grab; am leeren Grab erfasst sie „Schrecken und Entsetzen“ (Mk 16,8); die Emmaus-Jünger fliehen resigniert und enttäuscht aus Jerusalem, die anderen verschließen sich im Saal. Maria von Magdala geht noch in der Dunkelheit zum Grab und sucht weinend ihren Herrn. Der erlösenden Begegnung mit dem Auferstandenen gehen Stunden abgrundtiefer Enttäuschung, ja, der Verzweiflung voraus.

Aber dann kommt die große Oster-Wende: vom Schrecken zur Freude, von der Trauer zum Jubel, aus dem Grabesdunkel in das Licht des Herrn. Besonders in der Feier der Osternacht wird dies alles uns sinnfällig gegenwärtig.

Das Evangelium vom heutigen Ostersonntag stellt uns zunächst Maria Magdalena vor Augen, so lebendig, als geschähe alles hier und heute. Als es noch dunkel war .... In der Dunkelheit schwingt, gerade für den Evangelisten Johannes, immer die Macht der Finsternis und der Bosheit mit: „Das Licht kam in die Welt“, aber „die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,9.5); als Judas den Abendmahlssaal verließ, „war es Nacht“ (Joh 13,30)! Die Dunkelheit ist auch ein Zeichen für den inneren Zustand der Jünger, wenn der Herr nicht bei ihnen ist. In der Finsternis einer gottfernen Welt und zugleich in der Dunkelheit und Verwirrtheit ihres Herzens eilt nun Maria Magdalena zum Grab. Sie ist gleichsam das Modell all derer, die einmal von der Liebe Christi ergriffen wurden und ihn dann in der Nacht, wie es von der Braut im Hohen Lied heißt, aus den Augen verloren (Hld 3,1ff). Ihre erschütternde Klage ist, dass sie ihren Herrn verloren hat. Der Hörer des Evangeliums soll in ihr seine eigene Sehnsucht nach dem Herrn verkörpert finden (vgl. Jacob Kremer, Die Osterevangelien, Geschichten um Geschichte, 180f).

Die Liebe macht sehend

Maria von Magdala läuft zu Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte (wohl Johannes) und erzählt ihnen von dem Grab, das sie geöffnet und leer gefunden hat. Noch bedeutet das für sie tiefste Trauer und Bestürzung. Petrus und der andere Jünger laufen zum Grab. Johannes lässt Petrus den Vortritt. Petrus sieht die Leinenbinden und das Schweißtuch. Von dem Jünger aber, den Jesus liebte, heißt es, als er eintritt: „Er sah und glaubte“(Joh 20,8)! Es ist derselbe Jünger, der später aufgrund des reichen Fischfangs den am Ufer stehenden Jesus sofort erkennt und ausruft: „Es ist der Herr!“ (Joh 21,7). Dieser Jünger versteht sogleich die Zeichen, die auf seinen Herrn hinweisen. „Darin ist er der ideale Jünger mit einem exemplarischen Glauben“ (R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium, zSt). Deutlicher noch: Die Liebe, die diesen Jünger besonders mit Jesus verbindet, macht ihn in einer besonderen Weise sehend, sie beflügelt den Glauben! „Amor oculus est et amare videre est - Die Liebe ist Auge und lieben heißt sehen“, sagt Richard von St. Viktor. Wir dürfen daraus auch schließen: Auch für jeden späteren Jünger, der Jesus liebt, für jeden liebenden Hörer des Evangeliums, ist der Übergang, der Sprung vom Sehen zum Glauben, nicht weit und nicht schwer. Je mehr wir dem „Lieblingsjünger“ gleichen und der aus innerstem Herzen suchenden Maria Magdalena, um so näher sind wir beim auferstandenen Herrn.

„Erleuchte unser blind Gesicht“

Maria Magdalena werden die Augen geöffnet. „Ich habe den Herrn gesehen!“, kann sie schließlich voller Jubel ausrufen (Joh 20,18). Den Jüngern auf dem Wege nach Emmaus werden die Augen geöffnet: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn“, als er das Brot brach (Lk 24,31). Und der Jünger, den Jesus liebte, „sah und glaubte“.

Sehen und Glauben hängen innig zusammen. Während der Vorwurf Jesu einmal lautete: „Ihr habt mich gesehen und doch glaubt ihr nicht“ (Joh 6,36), vollzieht nun der auferstandene Herr an den Augen-Zeugen und an jedem künftigen Christen, bei jedem von uns, jene „Blindenheilung“, von der er einmal sagte: „Ich bin in diese Welt gekommen, damit die Blinden sehend werden“ (Joh 9,39). Er möchte sich jedem von uns offenbaren als unser Retter, als der Heiland der Welt. „Er erleuchte die Augen eures Herzens“, betet daher der Epheserbrief, „damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt“ (Eph 1,18).

Es ist ein Geschenk, nicht unsere eigene Leistung, glauben zu dürfen, sich zu Christus, dem Auferstandenen, bekennen und ihn lieben zu dürfen. Zuglich aber sollen wir uns von diesem geschenkten Aufschwung mitreißen lassen. Denn „indem Gott sich offenbart, gibt er auch das Auge, welches seine Wahrheit sieht; den Mut, der es mit ihm wagt; die Liebe, die zu ihm hinübergeht.“ Durch das Wirken Gottes in uns öffnet sich in uns „ein Quell, der ganz geschenkt, ganz Quell des Gotteslebens ist, aber im Menschen entspringt und so ihm gehört“ (R. Guardini, Freiheit – Gnade – Schicksal, 74f).

So singen und beten wir in österlichem Jubel: „Erleuchte unser blind Gesicht und leeren Herzen Liebe gib“ (GL 242,2)! Und:

O Herr, was wir hier schauen

in Glauben und Vertrauen,

das zeige uns im Licht,

und lass es einst geschehen,

dass ewig wir dich sehen

von Angesicht zu Angesicht

(GL 503,4).