Das Leben als Mensch und Christ kann wirklich gelingen

Was interessiert den Menschen wirklich, mit seiner knappen Zeit und seiner Beanspruchung von vielen Seiten? Innere Energie, ein Ruhepol im Leben! – Zum 90. Gründungstag sieht Christoph Bockamp, der deutsche Regionalvikar, das Opus Dei als eine Art spirituelle Tankstelle, eine Station zum Aufladen mit sinnhaltiger Energie.

Neunzig Jahre ist eigentlich kein besonderes Jubiläum. Wir haben uns ja schon daran gewöhnt, dass viele Menschen dieses stolze Alter erreichen. Aber für einen Teil der katholischen Kirche, die in Jahrhunderten denkt, ist das wahrlich nicht viel. Immerhin ist es eine guter Anlass, darüber nachzudenken, was das Opus Dei einem selbst bedeutet.

Für mich und für viele Menschen in Deutschland und in der ganzen Welt sind diese neunzig Jahre ein Grund zu großer Dankbarkeit. Denn das Opus Dei hat geholfen, das Wertvollste zu nutzen, was jeder Mensch hat, nämlich die Zeit. Zeit lässt sich nicht verdoppeln, vervielfältigen oder neu auflegen; sie ist wirklich unwiederbringlich. Geld, Güter aller Art und sogar Immobilien lassen sich irgendwie ersetzen. Unsere Lebenszeit ist schlicht einmalig, jede einzelne Minute. Das Opus Dei hilft, jede Minute optimal zu nutzen, so gut es geht.

Alle Menschen streben nach Vollkommenheit und einem erfüllten Leben. Christsein ist die Fülle des Lebens. Nach Heiligkeit streben bedeutet Identifikation mit Gott, dem Urgrund und Urheber allen Lebens und des gesamten Universums. Gott ist der Träger aller Energie, mit der er seine Geschöpfe erfüllt. Mehr noch: Mit Sinn. Und noch mehr: Mit seiner Liebe, mit der er uns die Kraft gibt, unsere Freiheit dazu einzusetzen, über uns hinauszuwachsen, also für unser Umfeld ein Leuchtfeuer der Liebe zu werden.

Man kann sich fragen: Wie entdecke ich das? Entscheidend ist sicherlich die Zuwendung der Eltern. Im Evangelium sagt uns Jesus Christus, dass wir wie die Kinder werden sollen, wenn wir ins Himmelreich gelangen wollen (vgl. Mt 18, 2-5). „Den Kindern gehört das Himmelreich, weil sie abhängig sind. Sie können nur empfangen. Wer Liebe empfängt wie ein Kind die Liebe der Eltern, dem gehört das Himmelreich, denn stets wird er sich an diesen inneren Ort flüchten können. Wo eine solche Liebe hinfällt, dort lässt sie sich für immer nieder.“ Das sind Gedanken des 2013 seliggesprochenen Don Pino Puglisi aus Palermo (in: Alessandro D’Avenia, So unergründlich ist das Meer, S. 127).

Auf diese kindliche Entdeckungsreise mit all ihrer Freude und Geborgenheit führt uns, auch als Erwachsene, der Weg des Gebetes. Das bedeutet nicht, in den Abgrund des Nichts zu starren, sondern die Fülle des Seins zu betrachten, immer mehr zu erfassen und das eigene Leben danach auszurichten.

Durch die Seelsorge des Opus Dei lernen viele Menschen, ganz persönlich mit Gott umzugehen, sich Zeit zu nehmen für das Gebet, das dann ins ganze Leben ausstrahlt. Hier ein Wort des heiligen Josefmaria: „Beten ist Sprechen mit Gott. Aber wovon? – Wovon? Von Ihm und von dir, von Freude und Kummer, von Erfolgen und Misserfolgen, von hohen Zielen und alltäglichen Sorgen … Von deinen Schwächen! Danksagungen und Bitten. Lieben und Sühnen. Kurz, Ihn erkennen und dich erkennen: Beisammen sein!“ (Der Weg, Nr. 91).

Wer so mit Gott umgeht, der gewinnt immer mehr Kraft für sein alltägliches Leben. In ihm wächst ein innerer Ruhepol, eine Einheit mit sich selbst.

Vieles spüren und fühlen wir, bevor wir es gedanklich erfassen, durchdringen und mit Worten formulieren können. Wir spüren die Energie. Emotional sind wir voll Bewegung und in Bewegung also. Unsere Gefühle bestimmen unser Handeln wesentlich mit. Ein wichtiges Ziel ist, unsere inneren Spannungen aufzuheben, in uns zu ruhen. Das gelingt, wenn wir aus einer tiefen Meditation über Gebet und Anbetung hineinfinden in eine Einheit des Fühlens, Denkens und dann auch Handelns, bis wir mit uns im Reinen sind. Das sind wir, wenn wir mit dem, der uns alles geschenkt hat, in einer innigen Verbindung leben, also mit Gott, der sich uns in der Person Jesus Christus ganz schenkt und offenbart.

Man kann sagen, dass das Opus Dei eine Art spirituelle Tankstelle ist, eine Station zum Aufladen mit sinnhaltiger Energie. So wie es jetzt an verschiedenen Orten in Deutschland Ladestationen für elektrische Autos gibt, so auch Tankstellen für Sinnfindung, wo Laien und Priester des Opus Dei mit Rat und Tat und Anleitung zur Verfügung stehen. (Kontakt gerne möglich über www.opusdei.de).

Was interessiert die Menschen heute? Kirchliche Themen letztlich nur am Rande. Was wirklich interessiert ist, wie das eigene Leben als Mensch und Christ gelingen kann. Denn da ist der Umgang mit der permanenten Zeitknappheit, mit den vielen Ansprüchen von vielen Seiten. Da ist die Erfahrung der eigenen Schwäche und Versuchbarkeit. Da ist die Sorge um den Ehepartner und die eigenen Kinder. Da ist die Frage, wie umgehen mit Missverständnissen, Streit und Zwistigkeiten. Wie man in seiner Umgebung ein frohes und attraktives christliches Vorbild werden kann und wie man Zeit für das Gebet findet.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie ein Mensch über sich hinauswachsen kann, wenn er sich an Gott wendet, wenn er im Sakrament der Heiligen Eucharistie die Gnade Gottes empfängt, wenn er entdeckt, was für ein wunderbares Geschenk die sakramentale Beichte ist. Da reichen wenige Minuten aus, um dank der Hilfe Gottes und der Verfügbarkeit des Priesters wieder ganz neu und froh starten zu können. Und das kann man immer wieder, ja häufig in Anspruch nehmen!

Das alles bereichert unser Leben trotz der Schwierigkeiten und Rückschläge um eine positive Dimension, um Zuversicht. Man nimmt die Dinge ernst, aber nicht tragisch. Man weiß sich gestützt und letztlich geborgen als Kind Gottes, nicht perfekt, aber geliebt.

Hier ein Ratschlag aus einem Schreiben unseres Prälaten Fernando Ocáriz zur Jugendsynode, die Papst Franziskus für diesen Oktober einberufen hat: „Als Christ leben heißt nicht, sich mit einer Idee zu identifizieren, sondern mit einer Person – Jesus Christus. Damit der Glaube unseren Weg erhellt, sollten wir uns nicht nur fragen, wer ist Jesus Christus für mich?‘, sondern auch, ‚wer bin ich für Jesus Christus?‘. Dann werden wir die Gaben erkennen, die der Herr uns gegeben hat und die sich direkt auf unsere persönliche Sendung beziehen. So wird nach und nach eine Einstellung in uns heranreifen, die uns offen macht für die Bedürfnisse der anderen. Wir werden uns in den Dienst aller stellen und noch klarer erkennen, welchen Platz uns Gott in dieser Welt anvertraut hat.“

So wird die kostbare Lebenszeit, ja jede Minute gut genutzt – und in Gott „verlorene“ Zeit in gewissem Sinne wiedergewonnen. Denn das Leben ist ein stetes Beginnen und Wiederbeginnen (vgl. Josefmaria Escrivá, Der Weg, Nr. 292).

Ich bitte Gott, dass das Opus Dei auch in unserem Land immer kräftiger dazu beitragen kann, dass viele Menschen die Freude und den Trost des Glaubens an Jesus Christus und seine Kirche entdecken. Dass sie durch die liebevolle Erfüllung ihres täglichen Pensums an Arbeit, durch die Sorge um Familie und Freunde, durch ihr Engagement in unserer Gesellschaft an dem großen Projekt mitwirken, die Welt mit Gott zu versöhnen. Diese Welt, die wir nach einem Wort des heiligen Josefmaria „leidenschaftlich lieben“.