Betrachtungstext: Osteroktav – Dienstag

Maria Magdalena findet das Grab leer – Der auferstandene Jesus ruft sie bei ihrem Namen – Die Freude der ersten Verkündigung

DIE STADT Magdala lag am Ufer des Sees Gennesaret. Hier erlebte Jesus schöne Momente und hier vollbrachte er viele Wunder. Von hier stammte Maria, eine der Frauen, die dem Herrn folgten; er hatte sie von sieben Dämonen befreit. Ihre Treue führte sie bis auf den Kalvarienberg, wo sie am Karfreitag nicht von der Seite Marias, der Mutter Jesu, wich. Am Sonntag darauf stand sie sehr früh, noch vor Sonnenaufgang, auf, verließ die Stadt und eilte zum Grab, in das der Leichnam Jesu gelegt worden war. Ihre Liebe war stärker als die Angst, denn sie hatte die Kraft eines Menschen, der liebt und immer mehr lieben will.

Wir können sie uns vorstellen, zügig voranschreitend, etwas besorgt, am Stadttor nicht gefasst zu werden mit einem Beutel voller aromatischer Kräuter und Binden am Rücken, um damit den Herrn fertig einzubalsamieren. Ihr Weg führt sie am Kalvarienberg vorbei, was den Schmerz vom Freitag neu in ihr aufleben lässt. Als sie ankommt, stellt sie verblüfft fest, dass keine Soldaten mehr da sind, um das Grab zu bewachen. Außerdem liegt der Stein, der den Eingang versperrt hatte, anderswo, abseits vom Grab. Und dann sieht sie, bereits unter Tränen, dass das Grab leer ist. Frau, warum weinst du? (Joh 20,13), wird sie von Fremden – den Engeln – angesprochen, als diese sie untröstlich sehen. Die Antwort der Magdalena ist herzzerreißend: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben (Joh 20,13).

Jesus fehlt ihr. Sie kann es nicht ertragen, ihn aus den Augen verloren zu haben. Die Tränen Marias sind ein Beispiel für Mut und Zärtlichkeit. Derjenige, den sie am meisten liebte, war eines grausamen Todes gestorben, und jetzt war sein Leichnam fort. Nun blieb ihr nicht einmal der Trost, seinen Körper salben zu können. Am Sabbat waren ihre Gedanken immer wieder zum Grab hin gewandert; wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, ihrem Herrn beim ersten Sonnenstrahl des Sonntags ihre Zuneigung zu bezeugen! Die Tränen der Magdalena lehren uns, dass wahre Gottesfurcht die Angst ist, ihn zu verlieren, seine Nähe nicht zu erkennen, seine Aufforderungen und Gnaden zu verpassen. Wie der heilige Josefmaria oft sagte: „Ohne Jesus geht es uns nicht gut.“1 Er ist unser ein und alles.


DAS GRAB war leer! Maria Magdalena weint, sie ist nur mehr ein Tränenmeer. Sie braucht den Meister. Sie war dorthin gegangen, um in seiner Nähe ein wenig Trost zu suchen, um bei ihm zu sein, denn ohne unseren Herrn hat alles andere keinen Wert“, sagte der heilige Josefmaria einmal. „Maria verharrt im Gebet, sie sucht ihn überall, sie denkt nur an ihn. Meine Kinder, angesichts einer solchen Treue wird Gott weich.“2

Frau, warum weinst du? Wen suchst du? (Joh 20,15), fragte sie auch Christus selbst, als er ihr wenig später begegnete. Maria hielt ihn zunächst für den Pfleger des Gartens, in dem sich das Grab befand. In ihrer Verwirrung und unter Tränen achtete sie kaum auf andere Leute. Da sagte sie zu ihm, ohne den leisesten Vorwurf in ihrer Stimme: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen (Joh 20,15). In Wahrheit hätte Maria Magdalena es wahrscheinlich nicht vermocht, einen so schweren Körper zu tragen, doch erneut können die Schwierigkeiten ihre Liebe nicht bremsen. Der US-amerikanische Fernsehprediger Fulton Sheen machte darauf aufmerksam: „Arme Magdalena, zerschlagen von der Qual des Karfreitags, erschöpft von den Beklemmung des Karsamstags, die Kräfte bis zum Äußersten geschwächt, und sie dachte immer noch daran, ihn zu ,holen‘.“3

Erst als Jesus ihren Namen ausspricht – Maria! (Joh 20,16) –, mit dem ihm eigenen Tonfall, erkennt sie, dass sie Christus vor sich hat, mit einem verklärten Leib. „Wie schön ist es, sich vor Augen zu halten“, sagte Papst Franziskus, „dass die erste Erscheinung des Auferstandenen – den Evangelien zufolge – auf so persönliche Weise erfolgte! Dass jemand da ist, der uns kennt, der unser Leid und unsere Enttäuschung sieht, der Mitleid für uns empfindet und uns beim Namen ruft. Dieses Gesetz finden wir eingemeißelt in viele Seiten des Evangeliums.“4 Der Lohn für die treue Liebe der Magdalena liegt in der Betrachtung der Schönheit des Auferstandenen. Sie hat ihr Leben für Jesus riskiert, hat ihn mit Leidenschaft gesucht, und der Herr hat es ihr reichlich vergolten. Vom Gefühl überwältigt warf sie sich ihm zu Füßen und fasste sie fest. Es war eine beredte Geste: Sie will Christus nicht wieder verlieren. Zu sehr hatte sie darunter gelitten, die Demütigung des Meisters mitanzusehen und zu denken, dass sie ihn für immer verloren hatte. „Die Zärtlichkeit“, sagt Benedikt XVI., „mit der Jesus diese Frau behandelt, die von vielen ausgenutzt und von allen verurteilt wird, ist beeindruckend. Sie hat in Jesus endlich ein reines Auge gefunden, ein Herz, das fähig ist zu lieben, ohne auszunutzen. Im Blick und im Herzen Jesu erfährt sie die Offenbarung Gottes, der die Liebe ist!“5


DER WEG, den Maria Magdalena bis zu ihrer Begegnung mit dem verklärten Christus gegangen ist, ähnelt in gewisser Weise dem aller Christen: sich demütig von den Stürzen erheben; den Herrn suchen, ohne sich von Momenten der Niedergeschlagenheit entmutigen zu lassen; sich anderer annehmen; Jesus beistehen, wenn unerwartet das Kreuz auftaucht; die Hoffnung nicht verlieren, selbst wenn alles dunkel erscheint, weil Jesus lebt.

Wie es bei ihr war, so weckt auch uns die Stimme Jesu, wenn er unseren Namen mit seinem ganz persönlichen Akzent ausspricht, und befreit uns aus der Entmutigung. So zu leben, dass wir auf seine Stimme achten, dass wir darum kreisen, was uns Christus in jedem Augenblick sagen will, verwandelt unser tägliches Leben in eine ständige Gelegenheit der Liebe. „Die Menschheit braucht solche Frauen und Männer: fähig, sich unermüdlich an die göttliche Barmherzigkeit zu wenden, treu am Fuße des Kreuzes ausharrend, aufmerksam, um im Alltagsbetrieb ihre Namen aus dem Mund des Auferstandenen zu vernehmen“6, so schrieb Msgr. Javier Echevarría. Maria war die erste unter den Jüngern, die den auferstandenen Jesus sah. Ihre Tränen des Schmerzes verwandelten sich binnen Sekunden in Tränen der Freude. Jesus vertraut dieser treuen Frau die erste Verkündigung der großen Neuigkeit an: Halte mich nicht fest; (...) Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott (Joh 20,18). Die Trauer ihres Herzens hat sich in ein unbeschreibliches Fest gewandelt.

Vor unseren Augen gewinnt die Gestalt dieser Frau, die nach Jerusalem hinein eilt, an Größe. Auf ihren Lippen trägt sie eine Botschaft der Hoffnung für die Jünger Christi und für die ganze Welt: Der Herr lebt, er ist auferstanden! In ihrem Herzen herrscht die lebendige Osterfreude, die einem leeren Grab entspringt und die ganze Welt erfasst. Neben der Mutter Jesu ist Magdalena in diesen Momenten die glücklichste Frau der Welt.


1 Vgl. J. Echevarría, „María Magdalena, cercana al Maestro“, in Alfa y Omega, 21.7.2016.

2 Hl. Josefmaria, Betrachtung, 22.7.1964.

3 Der ehrwürdige Diener Gottes Fulton Sheen, Das Leben Christi, Kap. 54.

4 Franziskus, Audienz, 17.5.2017.

5 Benedikt XVI., Predigt, 17.6.2007.

6 J. Echevarría,“María Magdalena, cercana al Maestro” , in Alfa y Omega, 21.7.2016.