Betrachtungstext: Karwoche – Montag

Maria von Betanien schenkt Jesus alles – Durch Gesten die Welt mit Wohlgeruch erfüllen – Jesus im Tabernakel umhegen

SECHS TAGE vor dem Paschafest kam Jesus nach Betanien. (...) Dort bereiteten sie ihm ein Mahl (Joh 12,1-2). In jenem Haus weiß sich Jesus im Kreis seiner Freunde, umgeben von Menschen, die ihn lieben. Er war oft in Betanien gewesen, dieses Mal aber lag eine besondere Feierlichkeit über seinem Besuch: Er weiß, dass er sich auf dem Weg nach Jerusalem befindet und dass ihn dort das Kreuz erwartet. Marta bediente und Lazarus war unter denen, die mit Jesus bei Tisch waren. Da nahm Maria ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl, salbte Jesus die Füße und trocknete sie mit ihren Haaren (Joh 12,2-3).

Es ist bereits bekannt, dass die Obrigkeiten des Volkes hinter Jesus Christus her sind. Und die Liebe lässt Maria Schlimmes ahnen. Deshalb möchte sie für ihren Herrn etwas Besonderes tun, ihm ihre Liebe zeigen, und so nimmt sie das Kostbarste, was sie besitzt, ein teures Parfüm aus reiner Narde, und gießt es über die Füße des Herrn. Sie zerbricht das Gefäß: Alles ist für ihren Gott. Einige der Anwesenden äußern sich irritiert über die Sinnlosigkeit dieser Geste. Auch Judas Iskariot schloss sich diesem Murren an. Maria schweigt. Sie schert sich wenig um die Kritik und die Kommentare zu ihrem Tun: Hauptsache, Jesus ist glücklich. Deshalb schreitet der Herrn auch ein zu ihrer Verteidigung.

Maria schenkt Jesus das Kostbarste, was sie hat, mit einer Geste tiefer Verehrung“, kommentiert Papst Benedikt die Begebenheit. „Die Liebe berechnet nicht, sie legt kein Maß an, sie scheut keine Kosten, sie setzt keine Grenzen, sondern sie gibt mit Freude, strebt nur nach dem Wohl des anderen, überwindet die Engherzigkeit, die Kleinlichkeit, den Groll, die Verschlossenheit, die der Mensch manchmal in seinem Herzen trägt.1 Judas schloss sich jenen kritischen Kommentaren an, weil er berechnend war, wo man nicht berechnend sein darf: bei unserer Hingabe an Gott. Maria hingegen hatte verstanden, dass ihr Herz nur dann ganz erfüllt sein würde, wenn sie Jesus alles hingibt, und sei es auch mittels einer Geste. Damit uns unsere Unzulänglichkeit nicht bedrücke, betonte Papst Franziskus: „Dieses Nardenöl konnte alles durchtränken und eine unverkennbare Spur hinterlassen.2


WER GOTT alles schenkt, wird auch zum Geschenk für seinen Nächsten. Wer angesichts des Rufes Christi hingegen kleinlich kalkuliert, feilscht am Ende auch mit den anderen. Wenn wir zum Herrn Ja sagen, bringen wir den anderen den Wohlgeruch Christi (2 Kor 2,15), und sie können sich mit besonderer Vorliebe angenommen fühlen. Wie es in Betanien der Fall war, können wir sagen, dass das Haus mit dem Duft des Öls erfüllt (Joh 12,3) ist. So kann unser Leben, angetrieben und geleitet von der Kraft Gottes, die Welt mit Wohlgeruch erfüllen. Wir bitten die drei Geschwister von Betanien, dass wir den Duft ihres Zuhauses in unserem Leben und im Leben unserer Familien und Freunde zu verbreiten wissen.

Heute wird in Betanien auch der Tod Christi verkündet. Daraus wird so viel Leben – helles, schönes, starkes Leben – für uns alle erwachsen! Der Herr lädt uns ein, bei ihm zu bleiben. Das Evangelium berichtet uns, dass die Hohepriester beschlossen, auch Lazarus zu töten (Joh 12,10). Jesus bittet uns, ihn zu begleiten wie er auch Lazarus darum gebeten hat, denn, so schrieb ein Kirchenvater, „wenn unser Wille nicht bereit ist, gemäß dem Leiden Christi zu sterben, wird auch das Leben Christi nicht in uns lebendig3. Wir sollten jedoch nicht auf außergewöhnliche Gelegenheiten warten, um Jesus Christus unsere Liebe zu bezeugen: Jeder einzelne Tag ist eine neue Gelegenheit, ihm zu dienen, ihm unser Leben anzubieten, es in seinem Dienst einzusetzen, ihm treu auf seinem irdischen Weg zu folgen.

Es werden fast immer kleine Dinge sein, die in unserer Macht stehen, Kindereien, die wir ihm, um sie größer zu machen, durch die Hände unserer Mutter, der heiligen Maria, darbringen. Der heilige Josefmaria ermutigt uns: Manchmal sind wir aufgelegt, kleine Kindereien zu begehen. Das sind kleine Wunderwerke in den Augen Gottes. Sie sind fruchtbar, solange sich keine Routine einschleicht; denn die Liebe ist immer fruchtbar.“4 Binnen weniger Tage wird der Wohlgeruch dieser kleinen Dinge vergangen sein, doch die Geste unserer Mutter wird bleiben und der Duft ihrer Zuneigung und Sanftmut wird ihren Sohn immer begleiten.


WELCHE FREUDE, Jesus in Betanien zu sehen, den Freund von Lazarus, Martha und Maria! Dorthin geht er“, schreibt der hl. Josefmaria, „um sich zu stärken, wenn er müde ist. Dort hatte Jesus sein Zuhause. Es gibt dort Seelen, die ihn verehren. Es gibt Seelen, die zum Tabernakel kommen, und dieser ist für sie Betanien. Möge er es auch für dich sein! Betanien bedeutet Vertrauen, die Wärme eines Zuhauses, Geborgenheit. Die liebsten Freunde Jesu.5 Wir wollen, dass der uns nächstgelegene Tabernakel ein Ort sei, an dem Jesus genauso zu Hause ist wie in Betanien. Wir sind begierig darauf, diesen Tabernakel mit dem Wohlgeruch unseres Kampfes zu erfüllen, der so oft mehr Wünsche als Ergebnisse hervorbringt.

Martha bleibt in der Szene des heutigen Evangeliums im Hintergrund. Sie bereitet das Mahl vor, bei dem Maria Jesu Füße salben wird. Sie kümmert sich um ihre Gäste mit der Liebe einer Schwester und Mutter. Das Haus wird auch mit dem Duft des freudig zubereiteten Abendessens erfüllt gewesen sein; vielleicht kochte sie, was ihrem Freund besonders gut schmeckte. In diesen Momenten, kurz vor seinem Tod, bedeutet jedes liebevolle Detail großen Trost. Unsere Arbeit, unser Lächeln, unsere Nächstenliebe sind die Kleinigkeiten, für die Jesus dankbar ist, die ihm sein Joch etwas mildern und seine Last etwas erleichtern.

Als weiteren Beweis für die unendliche Barmherzigkeit Gottes ist der Herr im Tabernakel geblieben, um uns nahe zu sein. Wenn Liebe und Glaube Maria bewegt haben, dem Herrn ein solches Zartgefühl zu zeigen, dass sie ihm in Betanien die Füße salbte, dann können Liebe und Glaube auch uns dazu bewegen, eine größere Ehrfurcht vor der realen Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie zu haben. Maria denkt nicht, dass sie etwas Außergewöhnliches tut, wenn sie das kostbare Öl vergießt, um den Herrn zu salben; sie handelt mit der Spontaneität der Liebe. Christus allein weiß, dass er in wenigen Tagen seinen Aposteln die Füße waschen wird, und Maria ist ihm mit dieser Geste zuvorgekommen. Ihre weibliche Intuition hat den Meister, der jedes auch noch so kleine Detail zu schätzen weiß, gerührt. Vielleicht war die Jungfrau Maria Zeugin dieses innigen Moments. Was für ein Trost wird es für sie gewesen sein, inmitten der bevorstehenden Ereignisse, zu wissen, dass sich Jesus in diesem Haus geliebt wusste.


1 Benedikt XVI., Predigt, 29.3.2010.

2 Franziskus, Ansprache, 7.5.2019.

3 Hl. Ignatius von Antiochien, Epistola ad Magnesios 5, 1.

4 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 859.

5 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einer Betrachtung, 6.11.1940.