Betrachtungstext: 6. Woche im Jahreskreis – Sonntag (B)

Das Stigma des Aussätzigen – Jesus berührt unsere Krankheit – Andere mit dem erhaltenen Gut anstecken

IM VOLK Israels wurde Lepra als Strafe Gottes und als eine Ursache für Unreinheit angesehen. Wenn das Haar an der kranken Stelle weiß wurde und die Stelle tiefer als die übrige Haut liegt, ist es Aussatz. Nachdem der Priester das Anzeichen untersucht hat, soll er den Erkrankten für unrein erklären (Lev 13,1.3). Die Aussätzigen mussten abgesondert leben, ihre Krankheit durch ihre Bekleidung zu erkennen geben und, sobald sich ihnen jemand näherte, Unrein! Unrein! (Lev 13,45) rufen. Sie lebten allein oder mit anderen Aussätzigen zusammen, in der Hoffnung, eines Tages ihre Reinheit wiederzuerlangen und in ein normales Leben zurückzukehren.

In diesem Zusammenhang, kam ein Aussätziger zu Jesus, fiel vor ihm auf die Knie und sagte:Wenn du willst, kannst du mich rein machen (Mk 1,40). Hier kommt jemand zu Christus, der vom Volk stigmatisiert wurde. Aus seiner Haltung geht hervor, dass er sich selbst nicht für würdig hält, eine Bitte zu äußern. Er bringt sie nur vor, in einer flehentlichen Haltung, jedoch ohne zu irgendein Recht zu beanspruchen: Wenn du willst ... Solche Krankheiten sind heutzutage seltener und die Maßnahmen zu ihrer Vorbeugung und Heilung andere. Dennoch können wir uns manchmal aus irgendeinem Grund ausgeschlossen und stigmatisiert fühlen: Wir haben das Gefühl, dem nicht zu entsprechen, was wir unserem Alter, unserer Erfahrung oder unseren Fähigkeiten nach sein sollten. Wir könnten auch das Gefühl haben, nicht an unserem Platz zu sein oder den Erwartungen nicht zu entsprechen. Es gibt sogar Tage, an denen die dunkle Wolke aufzieht, zu denken, dass wir ungenügend sind.

Diese persönlichen Wahrnehmungen – die von denen des Aussätzigen nicht weit entfernt sind – können unsere Sicht auf Antlitz unseres Herrn so weit verändern, dass wir annehmen, dass es ihm in Wirklichkeit schwer fällt, uns mit Zuneigung, mit Freude zu betrachten – wie wenn er mit unseren Leistungen normalerweise unzufrieden wäre. Diese falsche Sicht Gottes kann uns unfähig machen, uns selbst zu lieben; denn sie erlaubt uns nicht zu entdecken, wie der heilige Josefmaria sagte, „dass wir aus Gott stammen, dass wir von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit mit ausgesuchter Liebe geliebt werden, dass wir Kinder des herrlichsten Vaters sind. Ich bitte meinen Herrn darum, wir möchten uns entscheiden, uns dessen ganz bewusst zu sein, es Tag für Tag auszukosten: Dann werden wir als freie Menschen handeln.“1


DER AUSSÄTZIGE weiß, an wen er sich wenden muss, um Heilung zu erlangen. Er ist von der Macht Jesu überzeugt. Er weiß, dass er allein von der Güte desjenigen abhängt, den er bittet: Wenn du willst, kannst du mich rein machen (Mk 1,40). Er weiß, dass er sich von seiner Unreinheit nicht unterkriegen lassen darf, sondern offen sein muss, um das wahre, barmherzige Antlitz des Vaters zu entdecken: Jesus Christus.

Jesus widmet sich jenen Menschen, die von den anderen gemieden werden. Dem, der sich unwürdig fühlt, nähert sich Christus und ist bewegt. Jesus hatte Mitleid mit ihm, streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will – werde rein! (Mk 1, 41). Der Herr reagiert anders, als die Menschen es tun. Papst Franziskus erläutert dies so: „Die Barmherzigkeit Gottes überwindet jede Barriere und die Hand Jesu berührt den Aussätzigen. Er hält keinen Sicherheitsabstand ein und lässt nicht andere machen, sondern setzt sich selbst direkt der Ansteckung durch unser Übel aus. Und so wird gerade unser Übel zum Ort des Kontaktes: Er, Jesus, nimmt unser krankes Menschsein von uns, und wir nehmen von ihm sein gesundes und heilendes Menschsein an. Dies geschieht jedes Mal, wenn wir mit Glauben ein Sakrament empfangen: Jesus, der Herr,berührt uns und schenkt uns seine Gnade. In diesem Fall denken wir besonders an das Sakrament der Versöhnung, das uns vom Aussatz der Sünde heilt.“2

Der Herr lässt sich von unserer vermeintlichen Unwürdigkeit nicht abschrecken. Im Gegenteil: Je unwürdiger wir zu sein scheinen, desto mehr möchte er uns trösten und heilen. Gott dringt mittels unserer Wunden in das menschliche Herz ein und lässt uns nie im Stich, er liebt uns immer. Der Gründer des Opus Dei hat die Liebe Gottes mit einem anschaulichen Bild definiert: „Er liebt uns mehr als alle Mütter der Welt zusammen.“3


NACH DEM WUNDER bittet Christus den Geheilten, diskret zu sein: Sieh, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring für deine Reinigung dar, was Mose festgesetzt hat – ihnen zum Zeugnis (Mk 1, 44). Jesus, der bedachte, das dieses eines der ersten Wunder war, möchte, dass es nach und nach offenbar wird.

Der Mann aber ging weg und verkündete bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; er verbreitete die Geschichte, sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte; er hielt sich nur noch an einsamen Orten auf (Mk 1, 45). Der Protagonist der Heilung kann seine Freude nicht unterdrücken, und er kann sich nicht darauf beschränken, sie dem Priester mitzuteilen, der die Heilung bestätigen soll. Die Vergebung, das Gefühl, bedingungslos geliebt zu werden, führt dazu, dass wir uns anderen gegenüber öffnen und uns unseren Mitmenschen nähern. Wenn wir die göttliche Barmherzigkeit erfahren, verspüren wir das Bedürfnis, zerbrochene Verbindungen wiederherzustellen und das Gute, das wir empfangen haben, weiterzugeben. Gottes vergebende und heilende Liebe fügt uns wieder in die Gemeinschaft ein. Papst Franziskus erklärte: „Wenn das Übel ansteckend ist, so ist es auch das Gute. Deshalb muss das Gute in uns in immer größerer Fülle vorhanden sein. Lassen wir uns vom Guten anstecken und stecken wir mit dem Guten an!”4

Wie können wir, wenn wir das Gesicht Gottes einmal fälschlich als hart wahrnehmen, seinen wahren Blick wiederfinden? Indem wir uns an die Jungfrau Maria wenden. Laut Papst Benedikt „kommt Maria zu uns als die Mutter, die immer für die Nöte ihrer Kinder da ist. Im Licht, das von ihrem Antlitz ausgeht, scheint das Erbarmen Gottes durch. Lassen wir uns von ihrem Blick berühren, der uns sagt, dass wir alle von Gott geliebt sind und er uns nie verlässt!”5


1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 26.

2 Franziskus, Angelus-Gebet, 15.2.2015.

3 Vgl. hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 929.

4 Franziskus, Angelus-Gebet, 15.2.2015.

5 Benedikt XVI., Predigt, 14.9.2008.