90 Jahre Opus Dei –ein Anlass, zu danken und um Verzeihung zu bitten

Anlässlich der 90-Jahr-Feier des Opus Dei geben wir ein Exklusivinterview wieder, das der Vatikan-Experte Andrés Beltramo Álvarez mit dem Prälaten Fernando Ocariz geführt hat. Unter anderem bittet er um Verzeihung für „die Fehler und Sünden“ von Mitgliedern des Werkes, zeigt den Aktionsradius der Prälatur auf und kommentiert den Aufruf des Papstes, zum Schutz der Kirche vor den Angriffen des Teufels den Rosenkranz zu beten.

Foto: Ismael Martínez Sánchez

Spanische Original-Version vom 2. Oktober 2018 bei Vatican Insider, einem Internet-Projekt der italienischen Tageszeitung La Stampa

„Wir bitten um Verzeihung für unsere Fehler und Sünden“ – eine ungewöhnliche Aussage anlässlich eines Festes. Am 90. Jahrestag der Gründung des Opus Dei lag dem Prälaten Fernando Ocáriz daran, mangelhaftes Verhalten von Mitgliedern des Werkes anzuerkennen, insbesondere gegenüber denjenigen, die nicht „die Großzügigkeit und die Herzlichkeit erfahren haben, die sie brauchten“. Gleichzeitig gab er aber auch seiner Dankbarkeit dafür Ausdruck, dass viele Tausende Menschen auf den fünf Kontinenten und dank des Weges, den die Prälatur anbietet, „den Wunsch haben, sich in Christus zu verlieben und mitten in der Welt Menschen des Gebetes zu sein“.

Der dritte Nachfolger des hl. Josefmaria Escrivá, geboren in Frankreich, wo seine spanische Familie während des Bürgerkrieges (1936-1939) im Exil lebte, lenkt seit dem 23. Januar 2017 die Geschicke des Opus Dei. In diesem Interview mit dem Vatican Insider schaut er auf die Herausforderungen, mit denen sich die Prälatur konfrontiert sieht, und spricht über aktuelle Aufgaben der Kirche. Angesichts des weltweiten Aufrufes des Heiligen Vaters an alle Gläubigen, für die Einheit der Kirche zu beten und Gott um Hilfe gegen die Angriffe des Teufel zu bitten, stellt er fest: „Alles, was nicht der Einheit der Kirche dient, kommt nicht von Gott, sondern vom Feind Gottes.“

____________________

Wie ist der „Gesundheitszustand“ des Opus Dei im 90. Jahr seiner Gründung?

Ich danke Gott für alle Katholiken, die mit Gottes Gnade jeden Tag in Freiheit auf die christliche Berufung antworten. Unter ihnen sind die Männer und Frauen, die dem Opus Dei angehören oder an der apostolischen Arbeit des Werkes mitwirken. Meine Pastoralreisen in diesem Sommer nach Nigeria, Argentinien, Bolivien und Paraguay haben zu dieser Dankbarkeit beigetragen, da ich so vielen jungen und älteren Menschen begegnet bin, die sich in Christus verlieben und mitten in der Welt Menschen des Gebetes sein wollen; und auch, weil ich sehen durfte, wie viele Einrichtungen im Dienst an der Gesellschaft dank der Botschaft des hl. Josefmaria Früchte tragen: Schulen, medizinische Ambulanzen, Universitäten usw.

Zu dieser Wirklichkeit gehören aber auch die Begrenzungen eines jeden, die objektiven oder subjektiven Hindernisse, auf die wir stoßen wie etwa die Schwierigkeit, ein Evangelisierungsprojekt in komplexen gesellschaftlichen Stimmungen und Situationen zu entfalten, oder manchmal auch regelrechte Christenverfolgungen. So ist ein Jahrestag eine willkommene Gelegenheit, Gott zu danken und gleichzeitig um Verzeihung für unsere Fehler und Sünden zu bitten. Ich denke da etwa an Menschen, die in Kontakt mit der Arbeit des Opus Dei gewesen sind, denen wir aber letztlich nicht mit der Großzügigkeit und Herzlichkeit begegnet sind, die sie brauchten. Der 90. Jahrestag lädt uns ein, wie der selige Alvaro del Portillo Gott zu sagen: „Danke, verzeih, und hilf mir mehr!“

Was bedeutet es, das Opus Dei in der Ära von Papst Franziskus zu leiten?

Der hl. Josefmaria sagte oft auf Latein: Omnes cum Petro ad Iesum per Mariam. Das heißt: „Alle mit Petrus zu Jesus durch Maria“. In jeder Epoche ist für die Katholiken die Einheit mit Petrus der angemessene Weg. In diesem Augenblick fordert der Papst uns alle auf, aufzubrechen, jeden Konformismus zu vermeiden, der die Dynamik der Evangelisierung abschwächt, die die Welt braucht. Der Heilige Vater hat mir gegenüber seinen Wunsch geäußert, dass das Opus Dei die Botschaft des Evangeliums an der Peripherie verbreitet, die zur Zeit die Mittelschicht der Gesellschaft bildet, in den Gruppen, die Gott manchmal keinen Raum mehr lassen, was eine wachsende Armut an Werten und Idealen zur Folge hat.

In diesem Sinne ist es eine dringliche Aufgabe, den Familien und der Jugend die Freude des Evangeliums zu bringen. Diesen Bereichen der Neuevangelisierung hat der letzte Generalkongress des Opus Dei entschiedene Priorität verliehen. Als Antwort auf den Wunsch, den der Papst für die ganze Kirche geäußert hat, bemühen wir uns auch seitens der Prälatur, den Verlobten und den Eheleuten zu helfen, Zeugnis von der Schönheit einer echten Liebe zu geben, und wir begleiten die jungen Leute, damit sie ihre Aufgabe in der Welt entdecken.

Seit der Wahl von Papst Franziskus sind fünf Jahre vergangen. Was würden Sie aus dieser Zeit besonders hervorheben?

Unter vielen anderen Aspekten seine Einladung, das Evangelium durch das zu verkünden, was er einmal die „Heiligkeit des Menschen von nebenan“ genannt hat Das bedeutet, die eigenen Verpflichtungen – beten, arbeiten, Geld verdienen, sich um die Familie kümmern, sich erholen – mit dem Wunsch zu erfüllen, diese Aufgaben auch mitten in schwierigen und leidvollen Situationen zu einem Weg der Begegnung mit Gott und des Dienstes an den Mitmenschen werden zu lassen. Die Kirche ist die Gemeinschaft aller Getauften. Jeder spielt eine Hauptrolle bei der Evangelisierung.

Außerdem möchte ich sein Insistieren auf die Bereitschaft Gottes zu Vergebung und Barmherzigkeit nennen, das einen Höhepunkt im Jahr der Barmherzigkeit fand. Es ist eine unaufhörliche Erinnerung an die Liebe Gottes zu allen Menschen, die wir besonders offensichtlich im Sakrament der Versöhnung erfahren. Kein Mensch darf an der Vergebung durch Gott verzweifeln, mag seine Schlechtigkeit noch so groß gewesen sein. Es gibt immer einen Weg, zu ihm zurückzukehren. Auf der anderen Seite ist die Nähe von Papst Franziskus zu den Bedürftigsten und Verletzlichsten ein Appell an alle Christen, eine „Kultur der Begegnung“ zu pflegen, die ihre Wurzeln im Evangelium hat.

Vor wenigen Tagen hat der Papst alle Gläubigen weltweit aufgerufen, sich im Gebet gegen die Angriffe des Teufels zu vereinen, der ohne Unterlass die Einheit der Kirche zu unterminieren sucht. Wie haben Sie diesen Aufruf aufgenommen?

Meine erste Reaktion war Freude, denn eine Einladung des Papstes, für ein Anliegen zu beten, das ihm so sehr am Herzen liegt, ist ein Ansporn und gibt Schwung und Hoffnung angesichts des Vertrauens, das der Papst auf das Gebet setzt. Andererseits betrübt uns die Einladung, da sie einer schwierigen Lage entspringt. Letztlich hängt sie mit dem Thema der Einheit zusammen, denn alles, was nicht der Einheit der Kirche dient, kommt nicht von Gott, sondern vom Feind Gottes. Der Papst bittet uns ebenfalls, zum Erzengel Michael zu beten.

Die Gestalt des Papstes ist wesentlich für die Einheit. Der Papst ist das
sichtbare Prinzip der Einheit, des Glaubens und der Gemeinschaft

Die Einheit ist eine fundamentale Lebensgrundlage, auch weil der Papst für die Kirche das sichtbare Prinzip der Einheit ist, nicht nur aus theologischen Gründen, sondern ebenso im Glauben. Er trägt das Gewicht der Einheit und bittet uns daher, ihm mit Gebet zu helfen. Und das tut er nicht nur jetzt, sondern immer schon. Am Ende jedes Briefes bittet er: „Bete für mich.“ Man erkennt, dass es sich da nicht um einen dekorativen Satz handelt, sondern dass er auf das Gebet vertraut und daher um Gebet bittet. Wir alle haben also die liebenswerte Pflicht, den Heiligen Vater mit Gebet zu unterstützen, besonders in diesem schwierigen Moment. Man muss immer für den Papst beten, aber je schwieriger die Lage ist, je mehr Gefahren der Einheit drohen, desto mehr gilt es, an der Seite des Papstes zu stehen und die Einheit zu fördern.

Bittet der Papst mit dieser Geste auch darum, zum Wesentlichen zurückzukehren statt sich angesichts der Probleme zu ängstigen oder zu empören?

Die Gestalt des Heiligen Vaters mit der Einheit zu verbinden, ist nicht nur etwas Gutes, es ist wesentlich. Der Papst ist das sichtbare Prinzip der Einheit, des Glaubens und der Gemeinschaft. Ich wiederhole daher noch einmal: Sein Aufruf ist eine Freude, aber auch ein Schmerz aufgrund der aktuellen Schwierigkeiten.

Seit vielen Jahren ist das Opus Dei in Ländern wie China und Russland präsent, also in Ländern, die der Papst zu seinen Prioritäten zählt. Sind diese Länder für die Kirche immer noch „tabu“?

Im Falle Russlands wird die Präsenz der katholischen Kirche geschätzt und ist der orthodoxen Hierarchie bekannt. Auch existiert ein Wunsch nach brüderlicher Zusammenarbeit, der nach dem Treffen des Papstes mit dem Patriarchen von Moskau 2016 noch stärker geworden ist. Katholiken wie Orthodoxe stehen vor vielen geistlichen und kulturellen Herausforderungen. Die Mitglieder des Opus Dei, die in Russland leben, stellen sich ihnen gemeinsam mit den anderen Christen. So bemühen sie sich an vorderster Front um die Förderung der Familie, den Lebensschutz, die Hilfe für Arme und Benachteiligte, die Bildung der jungen Leute, damit sie keine Angst haben, gegen den Strom zu schwimmen. Und sie bemühen sich um Unterstützung verfolgter Christen in verschiedenen Teilen der Welt, usw.

Und im Fall von China? Welche Wege könnten die Christen dort gehen?

In Bezug auf China bedeuten die neuen Abkommen sicherlich neue Herausforderungen, wie der Papst erklärt hat. Die Kirche in China möchte ihren Glauben leben und das Werk der Evangelisierung fortführen. Die wenigen Gläubigen des Werkes, die in diesem großen Land arbeiten, wollen auch einen Beitrag dazu leisten, indem sie von den anderen Katholiken lernen und die Botschaft von der Heiligung des Alltags verkünden.

Vor einigen Jahren musste das Opus Dei von Medien ausgelöste Krisen durchmachen wie etwa nach dem Erscheinen des „Da Vinci Code“. Haben Sie das Gefühl, dass das Wesen der Prälatur inzwischen genügend erklärt wurde?

Mir scheint, dass es sich großenteils um vergangene Verständnisschwierigkeiten handelt, wie sie für eine neue Realität in der Kirche eigentlich normal sind. Zum Beispiel war es im Fall des Opus Dei mühsam, die Autonomie seiner Gläubigen verständlich zu machen, die als Laien ihre Entscheidungen mit derselben Freiheit wie der Großteil der Kirchenmitglieder treffen. Entscheidungen, die ihr Leben und ihren Beruf betreffen, oder wie sie sich intellektuell und politisch orientieren. Dabei stellen ihre Gesichtspunkte oder Vorgehensweisen keine Gesichtspunkte oder Vorgehensweisen der Prälatur dar. Das entspricht der Autonomie der Gläubigen in den anderen kirchlichen Zirkumskriptionen wie den Diözesen, Ordinariaten usw. Jetzt, da das Opus Dei auf sein hundertjähriges Bestehen zugeht, gibt es bereits sehr viele Menschen, die das Opus Dei direkt, also nicht nur über Gerüchte kennen gelernt haben und sich ein zutreffendes Urteil über seine Realität bilden konnten.

Gibt es denn weiterhin Leute, die es als eine geschlossene und sektiererische Gruppe ansehen?

Man darf sich nicht wundern, wenn von Zeit zu Zeit pseudo-literarische oder fiktionale Phänomene wie das erwähnte auftauchen. Ich denke, dass es manchmal kein anderes Mittel gibt, als auf diese Vorfälle mit einem Lächeln zu reagieren und geduldig weiter daran zu arbeiten, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Die Missdeutung des Opus Dei war so weit von seiner Wirklichkeit entfernt, dass sie beinahe komisch war. Wenn ich das alles aus der heutigen Perspektive betrachte, kann ich hinzufügen, dass sie vielleicht dazu gedient hat, Erfahrungen hinsichtlich der Selbstdarstellung zu sammeln und sich einem Publikum zu stellen, das weitaus größer war als gewöhnlich. In diesem Sinne danke ich Gott für die vielen Menschen, die sich der Kirche durch diesen scheinbaren Widerspruch genähert haben. Aus der Perspektive des Glaubens betrachtet haben Kritik und Widerspruch die Christen immer zu einem größeren Gebetsgeist und zu mehr Demut geführt und sie mit dem Wunsch erfüllt, die Freude eines Lebens nach dem Evangelium mit den anderen Menschen zu teilen.

Wie sehen Sie die Zukunft des Opus Dei?

Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass wir alle im Opus Dei dem Charisma des hl. Josefmaria treu bleiben und uns vom Heiligen Geist leiten lassen, um mit neuem Schwung zu evangelisieren. Es geht darum, vielen Freunden, Verwandten, Kollegen, Nachbarn und Bekannten die Wärme Christi zu bringen. Für diesen Impuls der Evangelisierung ist es nicht wesentlich, neue Initiativen oder Einrichtungen ähnlich den bereits

Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass wir alle im Opus Dei dem Charisma des hl. Josefmaria treu bleiben und uns vom Heiligen Geist leiten lassen, um mit neuem Schwung zu evangelisieren.

bestehenden ins Leben zu rufen – auch wenn sie in sich etwas Gutes und Positives sind. Wesentlich ist vielmehr, die persönliche Freundschaft, die Offenheit allen Menschen gegenüber und die Dienstbereitschaft zu fördern. Diese Haltungen entsprechen der Botschaft des Evangeliums, sind grundlegend für das christliche Apostolat und gleichzeitig mit den Fehlern und Schwächen vereinbar, die wir alle haben.

Welche Herausforderungen entdecken Sie am Horizont?

Sehr unterschiedliche. In den Ländern mit christlicher Minderheit wie Indonesien oder Sri Lanka (um zwei zu nennen, in denen die stabile apostolische Arbeit der Prälatur vor kurzem begonnen hat), ist es wichtig, das Vertrauen auf Gott lebendig zu halten und einen großen Glauben zu haben. Das christliche Engagement der Mitglieder des Opus Dei und generell der Katholiken ist ein kleines Samenkorn, aus dem mit der Gnade Gottes nach und nach Früchte heranwachsen werden. In manchen Ländern christlicher Tradition geht es vermutlich in erster Linie darum, froh und authentisch nach dem Evangelium zu leben, ohne sich einer Gesellschaft anzupassen, die materiellen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten häufig die erste Stelle einräumt.

Eine andere offensichtliche Herausforderung für die ganze Kirche ist der Generationswechsel. Jedes Jahr sterben etwa tausend Gläubige der Prälatur, Menschen, die ihren Weg bis zu Ende gegangen sind, um es einmal so auszudrücken. Die irdische Trennung von ihnen schmerzt uns, ist aber auch eine große geistliche Kraft und eine Stütze für die Evangelisierung, die die Kirche in der Welt leistet.