Betrachtungstext: 6. Osterwoche – Freitag

Die Freude, ein Kernelement der christlichen Erfahrung – Die Weisheit weiß um Gottes Dinge – Die Gabe der Weisheit verleiht unserem Leben Geschmack

IN DER OSTERNACHT stimmte die Kirche das feierliche Osterlob an, um ihre Freude über den Sieg Jesu Christi auszudrücken: „Frohlocket, ihr Chöre der Engel ... Lobsinge, du Erde, überstrahlt vom Glanz aus der Höhe ... Töne wider, heilige Halle, töne von des Volkes mächtigem Jubel.“ Nach den traurigen und schmerzlichen Tagen der Passion gewannen die Apostel ihre Freude zurück, als sie das Antlitz des Auferstandenen erblickten. Christus hatte sie vorbereitet: Ihr werdet traurig sein, aber eure Trauer wird sich in Freude verwandeln ... Ich werde euch wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen und niemand nimmt euch eure Freude (Joh 16,20.22).

Freude ist eine unserem Wesen eingegebene Neigung. „Unser Herz“, bemerkt Papst Benedikt, „sucht die tiefe, vollkommene und dauerhafte Freude, die dem Leben ,Geschmack‘ geben kann.1 Als Apostel des Herrn wissen wir, dass sich in ihm die Freude findet, die wir suchen. Dies ist ein zentraler Aspekt der christlichen Erfahrung. Für die erste Christengemeinde wird die Freude nach Pfingsten zum Lebensstil werden, als Frucht der Gegenwart des Heiligen Geistes. So berichtet die Apostelgeschichte: Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Lauterkeit des Herzens (Apg 2,46-47).

Die Freude geht Hand in Hand mit der Liebe. Ohne die Liebe kann der Mensch nicht leben, schrieb der heilige Johannes Paul II. zu Beginn seines Pontifikats: „Der Mensch bleibt für sich selbst ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, wenn er nicht der Liebe begegnet, wenn er sie nicht erfährt und sich zu eigen macht, wenn er nicht lebendigen Anteil an ihr erhält.“2 Die christliche Freude erwächst in erster Linie aus dem Wissen, dass wir von Gott bedingungslos geliebt werden: Er nimmt uns auf, er nimmt uns an und liebt uns so, wie wir sind. Diese persönliche Liebe begründet eine Freude, die uns nichts und niemand nehmen kann (vgl. Joh 16,22). Der christliche Philosoph Josef Pieper fand Worte, die der Herr vom ersten Augenblick unseres Lebens an zu uns sagt: „Ich will, dass du seist; es ist gut, ,sehr gut‘ (Gen 1,31), dass du existierst. (…) Wie wunderbar, dass es dich gibt; ich liebe dich!“3

„Die wahre Freude ist an die Beziehung mit Gott gebunden“, betonte daher Papst Benedikt. „Wer in seinem Leben Christus begegnet ist, erfährt im Herzen eine Ausgeglichenheit und Freude, die uns nichts und niemand nehmen können. Der heilige Augustinus hatte dies sehr gut verstanden; nachdem er die Wahrheit, den Frieden, die Freude in vielen Dingen vergeblich gesucht hatte, schließt er mit dem berühmten Wort, demzufolge das Herz des Menschen unruhig ist, und weder Ruhe noch Frieden findet, bis es in Gott ruht (vgl. Bekenntnisse, I,1,1).“4


AM HEUTIGEN TAG beginnt die fromme Andacht der Novene zum Heiligen Geist, die uns bei der Vorbereitung auf das Pfingstfest helfen kann. Einer verbreiteten Anrufung gemäß bitten wir Gott um die Gabe, „dass wir in diesem Geist erkennen, was recht ist, und allzeit seine Hilfe und seinen Trost erfahren“. Die Freude ist eng auch mit der Weisheit verbunden. Sie ist die erste und größte Gabe des Heiligen Geistes und schenkt uns Anteil an der tiefen Erkenntnis des Geheimnisses Gottes, eine neue und von Liebe erfüllte Erkenntnis, durch die „die Seele“ mit Worten Johannes Pauls II. „sozusagen Vertrautheit mit den göttlichen Dingen erlangt5. Laut dem heiligen Thomas von Aquin verleiht die Weisheit „einen gewissen Geschmack6 an Gott und dazu eine besondere Fähigkeit, die irdischen Dinge nach dem Maß und im Licht Gottes zu beurteilen. So heißt es im Buch der Weisheit: Ich betete und es wurde mir Klugheit gegeben; ich flehte und der Geist der Weisheit kam zu mir. Ich zog sie Zeptern und Thronen vor, Reichtum achtete ich für nichts im Vergleich mit ihr. Einen unschätzbaren Edelstein stellte ich ihr nicht gleich; denn alles Gold erscheint neben ihr wie ein wenig Sand, und Silber gilt ihr gegenüber so viel wie Lehm (Weish 7,7-9).

„Der wahre Weise ist nicht derjenige, der die Dinge Gottes kennt, sondern der sie ,erlebt‘ und ,lebt‘ 7, fuhr Johannes Paul II. in seiner Predigt über diese Gabe fort. Die Heiligen sind das beste Beispiel für ein freudiges Leben in Weisheit; in ihren Fußstapfen lernen wir, unser ganzes Leben vom Licht der Weisheit durchdringen zu lassen: Erlebnisse, Gefühle, Träume, Pläne.

Da uns die Gabe der Weisheit „Gott kennen und verkosten lässt“, ermöglicht sie uns, so sagte der heilige Josefmaria, „die Situationen und Geschehnisse unseres Lebens wahrhaft zu beurteilen. (...) Es ist ja nicht so, dass der Christ nicht alles Gute sähe, das es in der Menschheit gibt, dass er die lauteren Freuden nicht schätzte, dass er an den irdischen Sorgen und Idealen nicht teilhätte. Im Gegenteil, er nimmt all dies im Innersten seiner Seele wahr und teilt und lebt es mit besonderer Intensität, denn er kennt die Tiefen des menschlichen Geistes besser als jeder andere.“8 Die Weisheit führt uns in die wahre Bedeutung der Wirklichkeit und der Geschichte selbst ein. Mit ihr gehen wir über die Oberfläche der Dinge und Ereignisse hinaus und tauchen in die eigentliche Bedeutung alles Geschehens ein.


PAULUS BLIEB längere Zeit in Korinth und predigte das Wort Gottes, weil der Herr nachts in einer Vision zu ihm sagte: Fürchte dich nicht! Rede nur, schweige nicht! (Apg 18,9). Der feste Glauben und das mutige Zeugnis des Paulus – wie auch der anderen Apostel – beruhten auf der Überzeugung, dass Gott, der alle Herzen und alle Dinge kennt, mit ihm war und voll Liebe auf ihn schaute.

Die Heilige Schrift berichtet, dass Gott den König Salomo zu Beginn seiner Regierung im Traum aufforderte, um ein Geschenk zu bitten: Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll! (1 Könige 3,5). Der König erwiderte darauf: Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht! (Ebd.) Es gefiel Gott, dass Salomo um Weisheit und damit um den größten aller Schätze gebeten hatte. Die Gabe der Weisheit lehrt uns, so sagte Papst Franziskus, „mit den Ohren Gottes zu hören, mit dem Herzen Gottes zu lieben, die Dinge mit dem Urteil Gottes zu beurteilen, (…) mit den Augen Gottes zu sehen, mit dem Herzen Gottes zu fühlen, mit den Worten Gottes zu sprechen9. Sie ist nicht die Frucht eifrigen Studierens und verdankt sich auch nicht einer besonderen Begabung oder Intelligenz. Sie ist ein unverdientes Geschenk „des süßen Gastes der Seele“, wie der Heilige Geist in einem anderen bekannten Gebet angerufen wird. Durch sie entdecken wir die Güte und Größe des Herrn und wird unser Leben mit „Geschmack“ erfüllt, sodass wir Salz der Erde werden (Mt 5,13). Das Herz des weisen Menschen hat den Geschmack Gottes, alles an ihm spricht von Gott, so dass er für seine Mitmenschen zu einem prächtigen und lebendigen Zeugen seiner Liebe wird.

„Die Kirchenväter haben Christus als die Weisheit Gottes identifiziert“10, lehrte Johannes Paul II. in einer Audienz. Und er beendete diese mit einem Gebet des heiligen Ambrosius, der sich folgendermaßen an Christus wandte: „Lehre du mich Worte der Weisheit, denn du bist die Weisheit! Öffne du mein Herz, denn du hast das Buch aufgeschlagen! Öffne du die Tür, die im Himmel ist, denn du bist die Tür! Wer durch dich dort eintritt, nimmt das ewige Reich in Besitz; wer durch dich eintritt, wird nicht enttäuscht, denn wer in die Wohnung der Wahrheit eingetreten ist, kann nicht fehlgehen.“11 Wir bitten Maria, die Ursache unserer Freude und Sitz der Weisheit, uns zu helfen, frohe Zeugen von Gottes Liebe zu werden.


1 Benedikt XVI., Botschaft, 15.3.2012.

2 Hl. Johannes Paul II., Redemptor hominis, Nr. 10.

3 Josef Pieper, Über die Liebe, Kösel Verlag München, in II und III.

4 Benedikt XVI., Angelusgebet, 11.12.2011.

5 Hl. Johannes Paul II., Regina Coeli-Gebet, 9.4.1989.

6 Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q.45, a.2, ad.1.: saporem quendam importat.

7 Hl. Johannes Paul II., Regina Coeli-Gebet, 9.4.1989.

8 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 133.

9 Franziskus, Audienz, 9.4.2014.

10 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 29.1.2003.

11 Hl. Ambrosius, Kommentar zum Psalm 118,1.