Thema 27. Das Wirken des Heiligen Geistes: die Gnade, die göttlichen Tugenden und die Gebote

Das christliche Leben ist das Leben des Menschen als Kind Gottes in Christus durch den Heiligen Geist. Das Wirken des Heiligen Geistes in der Seele des Christen gewährt die heiligmachende Gnade, die göttlichen Tugenden, Eingebungen und helfende Gnaden, und es äußert sich spezifisch in den von der Kirche so genannten Gaben des Heiligen Geistes. Der Dekalog formuliert schwere Pflichten, ist aber auch und vor allem Unterweisung für das rechte Leben.

Die Sendung des Heiligen Geistes und sein Wirken in der Kirche wurden schon behandelt. Jetzt betrachten wir das Wirken des Heiligen Geistes im christlichen Leben und auf dem Weg des Christen zur Heiligkeit.

Die heiligmachende Gnade

Das christliche Leben ist das Leben des Menschen als Sohn bzw. Tochter Gottes in Christus durch den Heiligen Geist ist. In der Taufe wird der Mensch von der Sünde befreit und erlangt wahre Teilhabe an der göttlichen Natur1. Was bedeutet Teilhabe an der göttlichen Natur? Um das innerhalb der gegebenen Grenzen unseres jetzigen Erkennens zu verstehen, kann man bedenken, dass der Vater seine Natur zwar dem Sohn und dem Heiligen Geist ganz mitteilt, dass er aber keine anderen Götter oder Personen schaffen kann, die wie er Gott sind. Dagegen kann er Personen schaffen (und er hat es getan), denen er „Anteil“ an seiner göttlichen Natur, seiner Güte und seiner Glückseligkeit gewährt. Deshalb spricht man von „Teilhabe“. Diese Teilhabe an der göttlichen Natur ist die heiligmachende Gnade, die den Menschen zum Sohn bzw. zur Tochter Gottes macht.

Die christliche Heiligkeit wurzelt daher in der Schenkung des Dreifaltigen Gottes an den Menschen. Der Mensch wird durch die Gnade in die innere Dynamik des göttlichen Lebens eingeführt, wo jede göttliche Person dieselbe Natur besitzt, aber auf verschiedene Weise, worauf der Unterschied der göttlichen Personen beruht. Deshalb ist die Beziehung des Christen zu jeder der göttlichen Personen verschieden: Der Vater nimmt uns als Kinder an; deshalb ist der Sohn das Vorbild, mit dem wir uns identifizieren, und unsere „Tür“ zum Eintritt in die Dreifaltigkeit; wobei der Heilige Geist, das Liebesband zwischen dem Vater und dem Sohn, „das Licht und die Kraft“ ist, die uns Ansporn sind zum Einswerden mit Christus, um mit ihm für die Ehre des Vaters zu leben, indem wir in allem seinen Willen erfüllen2.

Die heiligmachende Gnade ist daher viel mehr als eine Hilfe Gottes, um gute Werke zu verrichten. Sie ist ein neues Lebensprinzip, eine Erhebung unserer Natur, fast wie eine zweite Natur, Wurzelprinzip einer neuen Art des Lebens: des Lebens der Kinder Gottes in Christus durch den Heiligen Geist. Es gibt auch eine andere Art der Gnade, die so genannte helfende Gnade, die eine punktuelle göttliche Hilfe darstellt, um ein bestimmtes gutes Werk zu verwirklichen.

Die göttlichen Tugenden

Wie die menschliche Natur mit Vermögen ausgerüstet ist, die uns erlauben, als Menschen zu leben – Vernunft, Wille, äußere und innere Sinne, sinnliche Neigungen –, so braucht auch das durch die heiligmachende Gnade ermöglichte göttliche Leben seine Vermögen – oder, genauer gesagt, die Erhebung unserer Vermögen –, die Prinzipien der Akte des göttlichen Lebens sind, an dem wir teilhaben. Die Erhebung der menschlichen Vermögen erfolgt durch „Habitus“, die mit der heiligmachenden Gnade eingegossen werden: die drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe.

Im Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: „Die göttlichen Tugenden haben Gott selbst zum Ursprung und zum unmittelbaren Gegenstand. Sie werden dem Menschen mit der heiligmachenden Gnade eingegossen und machen ihn fähig, in Verbindung mit der Dreifaltigkeit zu leben. Sie bilden die Grundlage und die Seele des sittlichen Handelns des Christen und beleben die menschlichen Tugenden. Sie sind das Unterpfand dafür, dass der Heilige Geist in den menschlichen Fähigkeiten wirkt und gegenwärtig ist.“3

Diese kurze Beschreibung enthält die wesentlichen Elemente. Es handelt sich um Tugenden, die Gott zusammen mit der heiligmachenden Gnade schenkt; sie haben Gott selbst zum Gegenstand und ermöglichen uns, ihn als Einen und Dreifaltigen Gott zu erkennen, nach ihm zu streben und ihn zu lieben; und sie beleben die menschlichen sittlichen Tugenden, indem sie bewirken, dass diese den Gebrauch der menschlichen Güter so regeln, wie es dem Leben von Kindern Gottes entspricht, das die rein menschlichen Güter übersteigt.

Die Tugend des Glaubens

„Der Glaube ist jene göttliche Tugend, durch die wir an Gott und an all das glauben, was er uns geoffenbart hat und was die Kirche uns zu glauben vorlegt. Denn Gott ist die Wahrheit selbst. Im Glauben überantwortet sich der Mensch Gott in Freiheit. Darum ist der gläubige Mensch bestrebt, den Willen Gottes zu erkennen und zu tun, denn der Glaube ’ist in der Liebe wirksam’ (Gal 5,6).“4.

Der Glaube ist die Erkenntnis, die das ganze Leben der Kinder Gottes leitet. Ohne den Glauben ist es nicht möglich, als Kinder Gottes zu leben, ähnlich wie es ohne Vernunfterkenntnis nicht möglich wäre, ein menschliches Leben zu führen. Der Glaube besteht in der festen, durch die Gnade ermöglichten Zustimmung zu allen Wahrheiten, die Gott uns offenbart hat, zu allem, was Gott uns über sich selbst und seinen Heilsplan für die Menschen und für die Welt mitgeteilt hat – und zwar nicht, weil diese Wahrheiten für uns einsichtig oder zur Gänze verständlich sind, sondern weil Gott, die höchste Weisheit und Wahrheit, sie geoffenbart hat. Durch den Glauben haben wir an der Erkenntnis teil, die Gott von sich selbst und von der Welt hat, und diese Erkenntnis durch Teilhabe ist die höchste Regel für das christliche Leben.

Aber der Glaube ist nicht nur eine Gesamtheit von Kenntnissen, die wir für wahr halten. Da wir glauben, dass Gott unser Schöpfer und Heiland ist, beinhaltet der Glaube eine völlige Öffnung der Seele für das erlösende Wirken Gottes in Christus, einen Akt des Vertrauens und der Hingabe an das Wirken Gottes in uns. Der Glaube ist somit Annahme des Heils, das Gott in uns wirkt, weshalb der heilige Paulus lehrt, dass wir durch den Glauben gerechtfertigt werden und dass es nur das Heil gibt, das uns Gott in Christus schenkt. Nach der Erbsünde gibt es keine andere Möglichkeit, vor Gott gerecht zu sein, als uns dem Wirken zu öffnen, mit dem uns Gott durch Christus gerecht macht. Kein Mensch kann sich selbst rechtfertigen. Deshalb lehrt die Kirche, dass „der Glaube der Anfang des menschlichen Heiles ist, die Grundlage und Wurzel jeder Rechtfertigung, ’ohne den es unmöglich ist, Gott zu gefallen’ (Hebr 11,6) und zur Gemeinschaft seiner Kinder zu gelangen; dass wir aber umsonst gerechtfertigt würden, wird deshalb gesagt, weil nichts von dem, was der Rechtfertigung vorhergeht, ob Glaube oder Werke, die Gnade der Rechtfertigung selbst verdient; ’wenn sie nämlich Gnade ist, dann nicht mehr aufgrund von Werken, sonst wäre (wie derselbe Apostel sagt) Gnade nicht mehr Gnade’ (Röm 11,6).“5

Die Gnade und der Glaube werden nicht durch unsere guten Werke hervorgebracht; aber sobald wir die Gnade und den Glauben empfangen haben, müssen wir, um das Heil zu erlangen, als Kinder Gottes leben und die Werke vermeiden, die mit dem Leben der Gnade unvereinbar sind.

Wer die Offenbarung Gottes bewusst und frei nicht annimmt, begeht die Sünde des Unglaubens. Der Christ, der vom Glauben abfällt, sündigt durch Apostasie, und wer die geoffenbarten Wahrheiten ändert oder von ihnen abweicht, begeht die Sünde der Häresie.

Die Tugend der Hoffnung

„Die Hoffnung ist jene göttliche Tugend, durch die wir das ewige Leben als unser Glück von Gott ersehnen und erwarten, indem wir auf die Verheißungen Christi vertrauen und uns auf die Gnadenhilfe des Heiligen Geistes verlassen, damit wir das ewige Leben verdienen und bis zum Ende des irdischen Lebens ausharren.“6

Die Tugend der Hoffnung verwandelt und erhebt unsere tiefsten Wünsche und bewirkt, dass die von Gott verheißene Glückseligkeit der letzte Gegenstand unserer Sehnsucht ist, das höchste Gut, das um seiner selbst willen geliebt wird und aufgrund dessen alles andere geliebt wird. Die Hoffnung gestattet uns, allen menschlichen Gütern und Tätigkeiten ihren wahren Wert beizumessen – also den Wert, der ihnen im Hinblick auf die ewige Seligkeit zukommt.

Da die ewige Seligkeit nur durch die Gnade und Hilfe Gottes erreicht werden kann, schließt die Tugend der Hoffnung das Vertrauen ein, dass Gott uns immer die erforderliche Hilfe für das Heil geben wird: dass er unsere Sünden verzeihen wird, wenn wir ihn darum bitten, dass er uns Stärke geben wird, um in Prüfungen und Gefahren zu bestehen, und uns immer mit seiner barmherzigen Allmacht begleiten wird.

Durch Verzweiflung sündigt, wer angesichts seiner Sünden oder der Schwierigkeiten des Lebens mutlos wird, der Barmherzigkeit Gottes und seiner heilbringenden Macht misstraut, so als hinge alles von den menschlichen Kräften ab. Durch Vermessenheit sündigt hingegen, wer meint, seine menschlichen Kräfte und Verdienste würden für das Heil ausreichen, oder denkt, sein Heil sei wegen seiner Rasse, seines katholischen Glaubens, seiner Taufe oder aus anderen Gründen gesichert, und der deshalb die von Gott vorgesehenen und von der Kirche angebotenen Heilsmittel vernachlässigt.

Die Tugend der Liebe

„Die Liebe ist jene göttliche Tugend, durch die wir Gott über alles und aus Liebe zu Gott unseren Nächsten wie uns selbst lieben. Jesus macht sie zum neuen Gebot, zur Vollendung des Gesetzes. Die Liebe ist ’das Band der Vollkommenheit’ (Kol 3,14) und die Grundlage der anderen Tugenden, die sie beseelt, anregt und ordnet: Ohne sie ’wäre ich nichts und nützte mir nichts’ (1 Kor 13,1-3)“7.

Die Liebe ist vor allem Liebe zu Gott über alles, weil er das höchste Gut ist. Sie ist eine Liebe der Freundschaft, die uns mit ihm vereint. Als Liebe der Freundschaft bringt sie eine gewisse Gegenseitigkeit mit sich: Wir lieben Gott und wissen uns von ihm geliebt bzw. wir lieben ihn, indem wir auf die Liebe antworten, mit der er uns liebt. Der Heilige Geist wird ungeschaffene Liebe genannt, und die geschaffene Liebe (unsere Liebe) ist der Haupteffekt seines Wirkens in unserer Seele. Durch die Tugend der Liebe lieben wir Gott gewissermaßen mit göttlicher Liebe: mit der Liebe, die der Heilige Geist in unsere Seele eingießt. Diese Liebe spornt uns an, Gott zu erkennen, in unserem Leben seinen Willen, wie Christus es tat, zu erfüllen8, den Nächsten aus Liebe zu Gott zu lieben, d.h. die anderen so zu lieben, wie Gott sie liebt, und die Dinge nach dem Wert, den sie nach dem Plan Gottes haben, zu gebrauchen.

Die Liebe ist außerdem Form, Motor und Wurzel aller sittlichen Tugenden, weil sie diese auf Gott als höchstes Gut bezieht; sie ist ihr letzter Beweggrund (aus Liebe zu Gott werden Gerechtigkeit, Großzügigkeit, Keuschheit usw. geübt) und führt dazu, dass die Übung der sittlichen Tugenden uns mit Gott vereint. Deshalb sagt der heilige Augustinus, dass die sittlichen Tugenden des Christen gleichsam Formen der Liebe zu Gott sind9.

Die Liebe ist das Wesen der christlichen Heiligkeit, das Band der Vollkommenheit, und bestimmt den Grad der Heiligkeit eines Menschen: Die Größe der Heiligkeit entspricht der Größe der Liebe.

Jede schwere Sünde führt zum Verlust der Liebe, der Verbindung der Freundschaft mit Gott. Spezifische Sünden gegen die Liebe zu Gott sind Gotteshass und Lauheit; Sünden gegen die Liebe zu sich selbst sind die Vernachlässigung des geistlichen Lebens, sich ohne Grund schweren Gefahren für Seele oder Leib auszusetzen, Selbstmord und Egoismus im Sinn der Eigenliebe; Sünden gegen die Liebe zum Nächsten sind Hass und Zwietracht, Erregung von Ärgernis, Verweigerung der möglichen geistlichen oder materiellen Hilfe, freiwillige Mitwirkung an den Sünden des Nächsten.

Die Gaben des Heiligen Geistes

Das Wirken des Heiligen Geistes schenkt der Seele des Christen, abgesehen von der heiligmachenden Gnade und den göttlichen Tugenden, Eingebungen und helfende Gnaden, und äußert sich spezifisch in den von der Kirche so genannten Gaben des Heiligen Geistes. „Diese sind bleibende Anlagen, die den Menschen geneigt machen, dem Antrieb des Heiligen Geistes zu folgen.“10 Die Kirche lehrt, dass es sieben Gaben des Heiligen Geistes gibt: „Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. In ihrer ganzen Fülle stehen sie Christus, dem Sohn Davids, zu (vgl. Jes 11,1-2). Sie vervollständigen und vervollkommnen die Tugenden derer, die sie empfangen. Sie machen die Gläubigen bereit, den göttlichen Eingebungen willig zu gehorchen“11, auch wenn damit natürlich nicht beabsichtigt ist, das äußerst vielfältige Wirken des Heiligen Geistes in den Seelen zu klassifizieren oder auf diese sieben Gaben zu beschränken. Die Kirche spricht auch von den Früchten, die das Wirken des Geistes in den Seelen hervorbringt; „Die Früchte des Geistes sind Vollkommenheiten, die der Heilige Geist in uns als die Erstlingsfrüchte der ewigen Herrlichkeit hervorbringt. Die Überlieferung der Kirche zählt deren zwölf auf: ‚Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Langmut, Sanftmut, Treue, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit, Keuschheit‘ (Gal 5,22-23 Vg).“12

Die Gebote des Gesetzes Gottes

Der Herr sagt: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.“13 Der reiche Jüngling fragt: Welche Gebote? „Jesus antwortete: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen; ehre Vater und Mutter! Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“14 Der Herr bezieht sich auf den Dekalog, die Zehn Gebote des Alten Testaments15, die gleichsam eine Zusammenfassung der wesentlichen Elemente des natürlichen Sittengesetzes enthalten. Er selbst schreibt diesen Zehn Geboten göttlichen Ursprung zu, indem er sie von bloß menschlichen Vorschriften unterscheidet16; und die Kirche folgt der Ordnung dieser Zehn Gebote, um in der Katechese die christliche Moral darzulegen, wobei sie natürlich einige spezifische Lehren des Neuen Testaments hinzufügt.

Der Dekalog formuliert schwere Pflichten17, ist aber auch und vor allem Unterweisung für ein Leben in Übereinstimmung mit dem Bund, den Gott mit dem auserwählten Volk geschlossen hat. Wenn die Kirche den Dekalog darlegt, lehrt sie einen Lebensstil, der im Einklang mit der Liebe steht, also der Freundschaft zwischen Gott und dem Menschen. Diese Lehre ist ein wertvolles Werkzeug für die sittliche Bildung der Jüngeren und der weniger Gebildeten, und sie ist für alle eine notwendige äußere Hilfe in Augenblicken innerer Dunkelheit, die alle im Leben manchmal durchmachen können. Im Allgemeinen nämlich lässt uns das innere Licht der Gnade Gutes und Böses unterscheiden. Wenn man den Dekalog im Licht des Neuen Testaments und in seiner Verbindung mit der Liebe betrachtet, ist er eine Sammlung von Hinweisen, die uns den Weg zum Heil zeigen.

Ángel Rodríguez Luño

Bibliografie

Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1996-2005, 1810-1832, 2052-2074.

Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 422-425, 384-390, 434-441.

Papst Franziskus, Katechese über die Zehn Gebote.


1 Vgl. 2 Petr 1,4.

2 Joh 6,38: „Denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“. Vgl. auch Joh 4,34; 5,30.

3 Kompendium, Nr. 384.

4 Ebd., Nr. 386.

5 Konzil von Trient, Dekret über die Rechtfertigung, Kap. 8: DH 1532.

6 Kompendium, Nr. 387.

7 Katechismus, Nr. 388.

8 „Jesus sprach zu ihnen: Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen“ (Joh 4,34).

9 „Da uns die Tugend zum wahren Glück führt, möchte ich betonen, dass die Tugend keine andere ist als die höchste Liebe zu Gott. Und die Aussage, dass die Tugend vierteilig ist, wird gemacht, wie ich es verstehe, im Hinblick auf die Erwägung der Vielfalt der Dispositionen, die die Liebe selbst annimmt. Diese berühmten vier Tugenden, deren Kraft der Himmel in allen Seelen haben will, wie ihre Namen auf ihren Lippen, würde ich auch nicht so zu beschreiben zögern: Die Mäßigkeit ist die Liebe, die sich ganz dem Geliebten schenkt; die Stärke ist die Liebe, die alles für das Geliebte erträgt; die Gerechtigkeit ist die Liebe, die ausschließlich dem Geliebten dient und daher recht herrscht; schließlich ist die Klugheit die Liebe, die scharfsinnig unterscheidet, was nützlich und was schädlich ist. Diese Liebe ist, wie erwähnt, nicht die Liebe irgendeines Gegenstandes, sondern Liebe zu Gott, dem höchsten Gut, der höchsten Weisheit und dem höchsten Frieden. Aus diesem Grund kann man, die Definitionen etwas mehr präzisierend, sagen, dass die Mäßigkeit die Liebe ist, die sich für Gott integer und unzerstörbar bewahrt; die Stärke ist die Liebe, die mit dem festen Blick auf Gott alles ohne Traurigkeit erträgt; die Gerechtigkeit ist die Liebe, die nur Gott allein dient und deshalb der Vernunft entsprechend Herrschaft über alles dem Menschen Untergeordnete ausübt; die Klugheit ist schließlich die Liebe, die zu unterscheiden weiß, was zu Gott führt und was von ihm entfernen kann“ (hl. Augustinus, De moribus ecclesiae, I, 15, 25).

10 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1830.

11 Ebd., Nr. 1831.

12 Ebd., Nr. 1832.

13 Joh 14,15.

14 Mt 19,18-19.

15 Vgl. Ex 20,2-17 und Dtn 5,6-21.

16 „Damit habt ihr Gottes Wort um eurer Überlieferung willen außer Kraft gesetzt. Ihr Heuchler! Der Prophet Jesaja hatte recht, als er über euch sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Es ist sinnlos, wie sie mich verehren: was sie lehren, sind Satzungen von Menschen“ (Mt 15,6-9).

17 „Weil die zehn Gebote die Grundpflichten des Menschen gegenüber Gott und dem Nächsten zum Ausdruck bringen, sind sie ihrem Wesen nach schwerwiegende Verpflichtungen. Sie sind unveränderlich, sie gelten immer und überall. Niemand kann von ihnen dispensieren. Gott hat die zehn Gebote in das Herz des Menschen geschrieben“ (Katechismus, Nr. 2072).

Ángel Rodríguez Luño