Thema 12. Die Menschwerdung

Jesus ist der Sohn Gottes, der um unseres Heiles willen Mensch geworden ist. Er ist vollkommener Gott und vollkommener Mensch. Er nahm unsere materielle und leibliche Verfasstheit an, die vielen Bedürfnissen unterworfen ist, um uns von unseren Sünden zu befreien. Die Jungfrau Maria ist wahrhaft Mutter Gottes, weil der, den sie durch das Wirken des Heiligen Geistes als Mensch empfing, kein anderer ist als der ewige Sohn des Vaters.

Die Identität Jesu im Neuen Testament

Die Evangelien erzählen uns die Geschichte Jesu und bilden so die Grundlage jeder Lehre über Christus. Die Christologie ist nichts anderes als die Reflexion darüber, wer Jesus ist und wozu er in der Welt gekommen ist.

Diese Reflexion nimmt ihren Ausgangspunkt von den Schriften des Neuen Testaments: den Evangelien, den Briefen des Paulus und des Johannes sowie den anderen Büchern. Sie fragen zugleich nach Jesus und nach seiner Bedeutung für den Menschen. Sie gehen dabei von einer wichtigen Überzeugung aus: dass Jesus nicht ein bloßer Mensch sein kann.

In der Tat haben die ersten Christen in den Jahren nach der Auferstehung den Namen Jesu verehrt, sie lobten ihn, sangen ihm Hymnen und kamen an den Sonntagen zusammen, um in der Eucharistie sein Gedächtnis zu feiern.

All das war logisch, wenn man das Leben Jesu in seiner Gesamtheit betrachtete. In den Evangelien wird deutlich, dass Jesus sich als einzigartiger Repräsentant Gottes in der Welt betrachtet und sogar (auf demütige und natürliche Weise) göttliche Vollmachten beansprucht, wie etwa Sünden zu vergeben, das Wort, das Gott durch Mose an das Volk gerichtet hat, zu ergänzen oder absolute Liebe zu seiner Person zu verlangen. All das bestätigt er durch große Wunder wie die Auferweckung des Lazarus oder seine Macht über Naturkräfte, Menschen und Dämonen. Er selbst ist von den Toten auferstanden und hat vom Thron des Vaters aus den Heiligen Geist gesandt. Damit erfüllen sich in Jesus auch die Verheißungen Gottes für die letzten und endgültigen Zeiten: die Errichtung eines Reiches, das ewig dauern soll und dessen Messias-König der im Himmel thronende Jesus ist. Jesus konnte nicht ein bloßer Mensch sein, so heilig man ihn sich auch denken mochte.

Diese Überzeugung warf jedoch eine fundamentalen Frage auf: Welche Beziehung hatte Jesus zu Gott? Das war für die ersten Christen nicht leicht zu beantworten. Sie bekannten, dass es nur einen einzigen Gott gibt, waren sich aber auch bewusst, dass Jesus gewirkt und gesprochen hatte, als sei er selbst Gott. Das Problem war also: Kann man sagen, dass Jesus Gott ist? In welchem Sinn? Bedeutet das nicht, zwei Götter zu bekennen? Letzteres wäre widersinnig, denn die Christenheit war wie das Juden überzeugt, dass es nur einen einzigen Gott gibt und geben kann. Welche Beziehung bestand also zwischen Jesus und dem Gott Israels?

Nach und nach sollten diese Schwierigkeiten befriedigend gelöst werden. Schon in den Briefen des heiligen Paulus sehen wir, wie der Apostel auf verschiedene Weisen die Gottheit Jesu zum Ausdruck bringt, ohne ihn mit Gott Vater gleichzusetzen und ohne zwei Götter zu bekennen. Zum Beispiel schreibt er an die Korinther: „Wir haben nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn“ (1 Kor 8,6). Er sagt „ein einziger Gott und ein einziger Herr“, denn im Alten Testament war „Herr“ die „gebräuchlichste Bezeichnung für die Gottheit des Gottes Israels“ (Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 446). „Die ersten Glaubensbekenntnisse der Kirche legen Jesus von Anfang an den göttlichen Würdetitel ’Herr’ bei. Damit sagen sie, dass die Macht, die Ehre und Herrlichkeit, die Gott gebühren, auch Jesus zukommen, weil er ’Gott gleich’ ist“ (Katechismus, Nr. 449).

Das alles kommt noch klarer im Johannesevangelium zum Ausdruck, das von Anfang an deutlich unterscheidet zwischen Gott Vater und dem Wort Gottes, das von Ewigkeit in Gott war und selbst Gott ist (vgl. Joh 1,1). Nach Johannes ist Jesus das Fleisch gewordene Wort, das Mensch geworden und zu unserem Heil in die Welt gekommen ist. Dieses Wort existiert vor der Zeit und der Schöpfung und ist daher nicht geschaffen. Es ist immer Wort des Vaters gewesen und unterscheidet sich daher vom Vater, auch wenn es mit ihm in Beziehung steht. Es handelt sich um einen wichtigen Text, in dem Johannes auf das Problem eingeht, wie man sagen kann, dass Jesus Gott ist, ohne damit zu sagen, dass es zwei Götter gibt. Dieses Wort – so denkt Johannes – ist göttlich wie der Vater selbst, kann aber nicht als ein zweiter Gott betrachtet werden, da es zur Gänze auf den Vater bezogen ist. Hier öffnet sich der Weg zur Betrachtung des einen Gottes in der Dreifaltigkeit der Personen: Vater, Sohn und Geist. So eröffnet der Gott Israels im Neuen Testament sein innerstes Wesen und offenbart sich als Liebe, auf der die vollkommene Einheit der drei göttlichen Personen beruht.

Die Identität Jesu im Licht der christologischen Konzilien

In den auf die Zeit der Apostel folgenden Jahrhunderten hat die Kirche ihr Wissen um Jesus besser definiert und es, gestützt auf die Aussagen des Neuen Testaments, weiter vertieft. Die Verbreitung des Evangeliums führte zum Kontakt mit der nicht-jüdischen Welt, besonders mit dem griechischen Denken, das eine Vielzahl von Göttern unterschiedlichen Ranges zuließ.

So erschien es denkbar, dass Jesus eine Art zweiter Gott ist, geringer als der Vater und veränderlich, so dass er Fleisch annehmen konnte (während der Vater unveränderlich ist). Das war die Auffassung des Arius, auf die das Konzil von Nizäa im Jahr 325 reagierte (vgl. Katechismus, Nr. 465). Auf diesem Konzil bildete sich heraus, was wir jeden Sonntag im Credo bekennen: Jesus Christus ist „Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt und nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“. Damit war klar, dass dem Vater und dem Sohn gemeinsam das einzige Gottsein zukommt und dass sie dieselbe Würde haben.

Ein Jahrhundert später stellte sich ein weiteres wichtiges Problem: Wenn Jesus Gott ist – wie kann er zugleich Mensch sein? Die Erfahrung sagt uns, dass der Mensch ein Individuum ist und dass Gott gleichfalls ein eigenes individuelles Wesen ist. Wie können sie eine einzige Realität sein? Handelt es sich bei Christus nicht eher um zwei verschiedene Wesen, auch wenn sie irgendwie eng miteinander verbunden sind? In diese Richtung zielte die Ansicht des Patriarchen von Konstantinopel, Nestorius. Für ihn bildeten Gott und der Mensch Jesus eine Einheit, weil sie immer in vollkommener Einheit wirken, wie ein Pferd im Galopp mit dem Reiter, der es lenkt, gleichsam eine Einheit bildet, auch wenn sie in Wirklichkeit zwei verschiedene Wesen sind. Aus dieser Vorstellung schloss Nestorius, dass Jesus zwar geboren wurde, in Palästina gelebt hat und am Kreuz gestorben ist usw., dass man all das aber nicht von Gott aussagen kann. Das ewige Wort ist unveränderlich. Es kann nicht wie ein menschliches Wesen geboren werden. Deshalb kann man auch nicht sagen, dass Maria die Mutter Gottes ist; sie ist nur die Mutter des Menschen Jesus.

Das Problem dieser „Lösung“ bestand darin, dass sie nicht wirklich garantierte, dass Christus ein einziges Wesen ist, eine einzige lebendige Wirklichkeit, wie die Evangelien sie darstellen. Das Konzil von Ephesus im Jahr 431 widersprach der Auffassung des Nestorius. Es lehrte, dass die zweite Person der Dreifaltigkeit, das Wort Gottes, Mensch geworden ist, sich also eine menschliche Natur angeeignet und in sich integriert hat. Deshalb ist Jesus ein einziges Individuum – und nicht zwei verschiedene Wirklichkeiten, die mehr oder weniger miteinander verbunden sind, wie Nestorius behauptete. Mit dem Namen „Jesus“ bezeichnen wir das ewige Wort, nachdem es eine menschliche Natur angenommen hat, also Mensch geworden ist. Diese Lehre, die auf dem Konzil von Ephesus formuliert wurde, ist unter dem Namen „hypostatische Union“ bekannt (weil das Menschliche in die präexistente Person des Wortes bzw. die hypostasis des Wortes aufgenommen wird).

Diese Lehre wurde jedoch von einigen missverstanden, die dachten, dass das menschliche Element, das in die göttliche Person aufgenommen wurde, von dieser absorbiert worden ist und so seine eigene Konsistenz verloren hat. Um diesem Irrtum zu begegnen, hat das Konzil von Chalzedon zwanzig Jahre später die Lehre von Ephesus neu formuliert: Jesus ist eine einzige Person, erklärte das Konzil, die aber auf doppelte Weise existiert: als Gott ewig und als Mensch in der Zeit. Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch, vollkommener Gott und vollkommener Mensch. Auf dieser Grundlage präzisierten die folgenden Konzilien die Lehre von Chalzedon und leiteten daraus weitere Konsequenzen ab, so zum Beispiel, dass Jesus einen wahren menschlichen Willen hat, da er wirklich Mensch ist. Und als Mensch hat er das Werk unserer Erlösung vollbracht.

Die Menschwerdung

Das Wesentlich an der Lehre von der Menschwerdung besteht, unabhängig von diesen historischen Fragen, in der Anwesenheit des Sohnes Gottes in der Geschichte. Durch seine menschlichen Worte und Gesten erkennen wir den Sohn Gottes und begreifen irgendwie, wie Gott selbst ist. Vor allem sehen wir, dass Gott Liebe ist, eine starke Liebe, die fähig ist, das Leben für uns hinzugeben.

Die Inkarnation ist Werk des dreifaltigen Gottes. Der Vater sendet seinen Sohn in die Welt, das heißt, der Sohn tritt in die Zeit ein und macht sich das menschliche Wesen zu Eigen, die Menschennatur, die der Heilige Geist im jungfräulichen Schoß Marias mit ihrer Mitwirkung und ihrer Zustimmung erweckt. So beginnt das Wort Gottes, das von Ewigkeit existiert, auch als Mensch in der Geschichte zu existieren.

Die Gegenwart des Sohnes Gottes in der Geschichte bedeutet auch Nähe des Vaters und des Heiligen Geistes, denn in Jesus, und durch ihn, geben sich auch die anderen göttlichen Personen den Menschen zu erkennen. Vor allem der heilige Johannes hat diese Aspekte betont: Das Kommen Jesu offenbart die innersten, unzugänglichen Merkmale des göttlichen Seins, so dass der, den „nie jemand gesehen hat“ (Joh 1,18), im Leben Christi, des menschgewordenen Eingeborenen, zugänglich wird. Christus zeigt durch Taten, Gefühle und Worte seine Beziehung zum Vater und zu den Menschen, das Wohlwollen Gottes gegenüber den Geschöpfen sowie Wert und Sinn der irdischen Wirklichkeit.

Jesus ist daher der einzige Sohn Gottes, der um unseres Heiles willen Mensch geworden ist. Er ist auch der Träger des Heiligen Geistes, sein Tempel und seine Wohnstatt in der Geschichte, weshalb man ihn auch „Christus“, den Gesalbten, nennt. Manche Persönlichkeiten des Alten Testaments sind wegen ihrer besonderen Berufung oder Sendung und zur Bezeichnung der Gegenwart des göttlichen Geistes in ihnen mit Öl gesalbt worden; die Salbung Jesu ist jedoch viel radikaler, denn sie beruht auf seinem Menschsein selbst, auf dem Geheimnis der Inkarnation. Jesus tritt in die Welt ein als der zur Gänze vom Geist Gesalbte, weshalb alles an ihm auf die göttliche Gegenwart verweist und die Reinheit und Geistigkeit der Wirklichkeit des Himmels widerspiegelt.

Diese radikale Gegenwart des Geistes erfüllt ihn auch mit Gnade und übernatürlichen Gaben, die er in seinen Handlungen, die voll der Gerechtigkeit und Güte sind, entfaltet und die seine Worte prägen. Sie sind machtvoll oder sanft, immer aber voll Weisheit und Leben. Alles an Jesus offenbart uns die Liebe Gottes, und diese Liebe, die sein menschliches Herz erfüllt, wird über die Wirklichkeit ausgegossen, die er vorfindet – besonders die durch die Sünde verwundete Wirklichkeit, die er wieder herstellt und zum Vater zurückführt.

Die menschliche Erkenntnis und der menschliche Wille Jesu

Wir haben schon gesehen, dass Jesus vollkommener Gott und vollkommener Mensch ist. Da er Gott ist, hat er natürlich eine ewige und zeitlose Erkenntnis aller Dinge; aber, einmal Mensch geworden, folgt seine Erkenntnis der dem Menschen eigenen Weise des Wissens; das heißt, Jesus erkennt die äußere Wirklichkeit wie wir durch Erfahrungen, Vorstellungen, Begriffe usw., die sich in seinem menschlichen Geist bilden. Indem Christus Mensch wurde, wollte er die Gesetze der Natur nicht überspringen und musste daher viele Dinge wie jeder Mensch lernen. Er lernte sprechen, lesen, arbeiten; er erfasste nach und nach das für das praktische Leben Notwendige und lernte auch, hauptsächlich durch Maria und Josef, viele Dinge der Religiosität Israels kennen.

Der menschliche Geist Christi war, wie jeder menschliche Verstand, begrenzt. Das bedeutet aber nicht, dass der Herr keine Kenntnisse gehabt hätte, die über die Erfahrung oder den gewöhnlichen menschlichen Wissenserwerb hinausgehen: übernatürliches Wissen. Die Evangelien zeigen zum Beispiel, dass Jesus die Verleugnung des Petrus und den Verrat von Judas voraussah. In diesen und ähnlichen Fällen handelte es sich um Einsichten, die der menschliche Geist Christi durch göttliche Eingebung empfing.

Zweifellos war jedoch die wichtigste und tiefste Erkenntnis Jesu in seinem irdischen Leben die seines Vaters Gott. Auch dieses Wissen war zutiefst übernatürlich. Es war eine dauernde Dimension seines Lebens und seiner Innerlichkeit, weil seine Person ewig mit dem Vater verbunden war – er ist der Eingeborene des Vaters – und seine Menschheit in seine Person integriert war. Deshalb erfuhr Jesus in seinem menschlichen Bewusstsein seine vollkommene Einheit mit dem Vater. Er war sich vollkommen bewusst, dass er Gottes Sohn ist, in die Welt gesandt, um die Menschen zu retten.

Das Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche hat die menschliche Erkenntnis Christi folgendermaßen zusammengefasst: „Der Sohn Gottes hat einen von einer vernunftbegabten menschlichen Seele belebten Leib angenommen. Mit seinem menschlichen Verstand hat Jesus vieles durch die Erfahrung gelernt. Doch auch als Mensch hatte der Sohn Gottes eine innige und unmittelbare Kenntnis Gottes, seines Vaters. Er durchschaute auch die geheimen Gedanken der Menschen und wusste voll und ganz um die ewigen Ratschlüsse, die zu enthüllen er gekommen war“ (Nr. 90).

Jesus hatte auch einen wahren menschlichen Willen und war ein ganz freier Mensch. In erster Linie war er frei, weil er nicht jener inneren Unordnung unterworfen war, die in uns von der Erbsünde stammt und uns leicht den drei Begierden nachgeben lässt – der Welt, der Augen und des Fleisches –, so dass wir durch sie versklavt zu werden. Der Heilige Geist hat seine Menschheit von Anfang an im Schoß Marias geformt und war danach in seinem Leben immer ganz gegenwärtig. In einem tieferen Sinn aber war Jesus frei, weil seine Handlungen immer von der Liebe zu seinem Vater und der ihm anvertrauten Sendung bewegt waren. Er wollte in jedem Augenblick den Willen des Vaters vollbringen, und die Liebe des Heiligen Geistes in seinem Herzen erfüllte seine Handlungen mit Gerechtigkeit und Liebe. Deshalb ist Jesus, wie das II. Vatikanische Konzil sagt, für uns das Vorbild dessen, was der Mensch ist (vgl. Gaudium et spes, Nr. 22).

Diese große Freiheit Christi kam auf viele Weisen zum Ausdruck. Er ließ sich nicht durch Personen, Umstände oder irgendwelche Ängste bestimmen, noch beachtete er die kulturellen Schranken der Gesellschaft seiner Zeit, in der die Gerechten die Sünder verachteten und den Kontakt mit ihnen mieden. Jesus aß zusammen mit Sündern und berief aus diesem gesellschaftlich verachteten Umfeld sogar einige, wie Matthäus, zu seinen Jüngern. Er hatte auch keine Hemmungen, mit nutzlosen legalistischen Bräuchen zu brechen, auch wenn sie damals weit verbreitet waren, noch in Zorn zu geraten und die Tische der Händler umzustoßen, durch die die Würde des Tempels entweiht wurde. Er ließ sich weder von seiner Familie noch von den Strukturen der Macht bestimmen; er scheute sich nicht, den Pharisäern entgegenzutreten und zu tadeln, was sie falsch machten; vor allem aber gab er sein Leben freiwillig für uns hin. Die große Freiheit Jesu ist also erkennbar. Sie erlaubte ihm, jederzeit das zu wählen, was für die Menschen gut und dem Vater wohlgefällig war.

In all dem verwirklichte Jesus mit seinem menschlichen Willen, was er zusammen mit dem Vater und dem Heiligen Geist von Ewigkeit beschlossen hatte. Die Handlungen Christi trugen die Liebe und die Barmherzigkeit Gottes hinein in die Geschichte der Menschen.

Die Bedeutung des Mysteriums der Inkarnation

Wenn wir im Credo beten, dass der eingeborenen Sohn Gottes Mensch geworden ist und durch das Wirken des Heiligen Geistes aus der Jungfrau Maria geboren wurde, so bekennen wir, dass die vom Wort angenommene Menschheit eine wahre und wirkliche ist, Frucht des Fleisches einer Frau ist, so dass er einer von uns ist und unserem Geschlecht angehört. Wäre das nicht der Fall, so hätte er kein menschliches Herz und keine menschliche Seele, könnte er weder leiden noch sterben, und es gäbe keine Auferstehung. Das Geheimnis der Inkarnation ist daher die Grundlage und die Voraussetzung für alle anderen Geheimnisse des Lebens Jesu.

Das Wort hat unsere materielle und leibliche, vielen Bedürfnissen unterworfene Verfasstheit angenommen, um uns von unseren Sünden zu erlösen und in das Haus unseres Vaters Gott zurückzuführen, der uns erschaffen hat, damit wir seine Adoptivkinder werden. Dieses Erlösungswerk hat der Herr durch alle seine Taten vollbracht, auch in den Jahren seiner Jugend, die öffentlich nicht besonders relevant waren (also während seines sogenannten „verborgenen Lebens“).

Alle Handlungen Jesu bewirken unsere Erlösung, denn indem er sie auf gerechte, dem Vater wohlgefällige Weise vollzieht, macht er sie dazu geeignet, dass auch wir sie auf diese Weise leben, und öffnet uns so den Weg. Die Kirchenväter sagen gern, dass Jesus unsere Natur dadurch, dass er sie annahm, geheilt und gereinigt hat. Wir können diese Idee weiterführen und sagen, dass der Herr das gewöhnliche Leben geläutert hat, indem er es selbst führte: Er hat es in etwas verwandelt, das Gott gefällt. So stellt der heilige Josefmaria fest: „Indem Jesus wie einer von uns aufwächst und lebt, offenbart Er uns, dass das menschliche Dasein, das gewöhnliche und alltägliche Tun einen göttlichen Sinn hat“ (Christus begegnen, Nr. 14). Von seinem Platz im Himmel aus gibt uns der auferstandene Jesus seine Gnade, die uns befähigt, in unseren täglichen Aufgaben Gottes Liebe zu uns zu entdecken, so dass sie für uns zu einem Weg der Heiligkeit werden. So ist Jesus durch sein Leben selbst unser Weg, der zum Vater führt.

Abgesehen von ihrem erlösenden Wert, haben die Werke Jesu, weil sie uns die Liebe Gottes zeigen, auch einen offenbarenden Wert; und sie haben einen rekapitulierenden Wert, da sie den Plan Gottes für die Menschheit verwirklichen und die Herrschaft Gottes, sein Reich, in der Welt aufrichten.

Maria, Mutter Gottes und Mutter der Kirche

Die Jungfrau Maria war von Ewigkeit vorherbestimmt, Mutter Gottes zu sein, zusammen mit der Inkarnation des Wortes.

„Da Maria zur Mutter des Erlösers ausersehen war, ’ist sie von Gott mit den einer solchen Aufgabe entsprechenden Gaben beschenkt worden’ (LG 56)“ (Katechismus, 490). Der Erzengel Gabriel grüßte sie bei der Verkündigung als „voll der Gnade“ (Lk 1,28). Schon bevor das Wort Fleisch annahm, war Maria, weil sie den göttlichen Gaben entsprach, voll der Gnade. Der Herr gewährte ihr diese besonderen Gaben, weil er sie vorbereitete, seine Mutter zu werden. Von ihnen geführt, konnte sie ihre freie Zustimmung zu ihrer Berufung geben (vgl. Katechismus, 490), von jeder persönlicher Sünde rein bleiben (vgl. Katechismus, 493) und sich völlig dem Dienst am Erlösungswerk des Sohnes hingeben.

Sie selbst wurde von ihrer Empfängnis an erlöst: „Das bekennt das Dogma von der unbefleckten Empfängnis, das 1854 vom sel. Papst Pius IX. verkündigt wurde: ‚ dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch die einzigartige Gnade und Bevorzugung des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von jeglichem Makel der Urschuld unversehrt bewahrt wurde‘ (Bulle ‚Ineffabilis Deus‘: DS 2803)“ (Katechismus, 491).

Die heilige Maria ist wahrhaft Mutter Gottes, weil „der, den sie durch den Heiligen Geist als Menschen empfangen hat, (…) kein anderer als der ewige Sohn des Vaters, die zweite Person der heiligsten Dreifaltigkeit ist“ (Katechismus, 495).

Maria war immer Jungfrau. Von alters her bekennt die Kirche im Credo und feiert in ihrer Liturgie „Maria als die ’allzeit Jungfräuliche’ (vgl. LG 52)“ (Katechismus, 499; vgl. 496-507). Dieser Glaube der Kirche spiegelt sich in der alten Formulierung wider: „Jungfrau vor der Geburt, bei der Geburt und nach der Geburt“. Von Anfang an „hat die Kirche bekannt, dass Jesus einzig durch die Kraft des Heiligen Geistes im Schoß der Jungfrau Maria empfangen wurde“ (Katechismus, 496). Maria blieb auch bei der Geburt Jungfrau, weil Jesus bei der Geburt ihre Jungfräulichkeit heiligte (vgl. Katechismus, 499). Und sie blieb auch Jungfrau nach der Geburt Jesu.

Maria wurde in den Himmel aufgenommen. „‘Schließlich wurde die unbefleckte Jungfrau, von jedem Makel der Erbsünde unversehrt bewahrt, nach Vollendung des irdischen Lebenslaufs mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen und als Königin des Alls vom Herrn erhöht, um vollkommener ihrem Sohn gleichgestaltet zu sein, dem Herrn der Herren und dem Sieger über Sünde und Tod‘ (LG 59). Die Aufnahme der heiligen Jungfrau ist eine einzigartige Teilhabe an der Auferstehung ihres Sohnes und eine Vorwegnahme der Auferstehung der anderen Christen“ (Katechismus, 966).

Maria ist die Mutter des Erlösers. Ihre göttliche Mutterschaft zieht daher auch ihre Mitwirkung bei der Erlösung der Menschen nach sich: „Maria (…) umfing den Heilswillen Gottes mit ganzem Herzen und von Sünde unbehindert und gab sich als Magd des Herrn ganz der Person und dem Werk ihres Sohnes hin und diente so unter ihm und mit ihm in der Gnade des allmächtigen Gottes dem Geheimnis der Erlösung“ (Lumen gentium, Nr. 56). Diese Mit-wirkung zeigt sich hauptsächlich in ihrer geistlichen Mutterschaft. Sie ist wirklich unsere Mutter in der Ordnung der Gnade und wirkt bei der Geburt zum Leben der Gnade und beim geistlichen Fortschritt der Gläubigen mit. Außerdem kümmert sie sich vom Himmel aus um uns als Mutter, indem sie uns durch ihre vielfältige Fürsprache von Gott die Gnaden erwirkt, die wir für unsere christliche Berufung und unser Heil benötigen (vgl. Katechismus, 969).

Maria ist Typus und Vorbild der Kirche: „Weil sie dem Willen des Vaters, dem Erlösungswerk ihres Sohnes und jeder Anregung des Heiligen Geistes voll und ganz zustimmte, ist die Jungfrau Maria für die Kirche das Vorbild des Glaubens und der Liebe. Daher ist sie ’schlechthin herausragendes und geradezu einzigartiges Glied der Kirche’ (LG 53); sie stellt das ’Urbild der Kirche’ (LG 63) dar“ (Katechismus, 967). Paul VI. ernannte am 21. November 1964 Maria feierlich zur Mutter der Kirche, um ausdrücklich die mütterliche Funktion hervorzuheben, die die Jungfrau für das christliche Volk ausübt.

Angesichts aller dieser Aussagen ist es verständlich, dass die Andacht der Kirche zur allerseligsten Jungfrau ein wesentliches Element der christlichen Frömmigkeit darstellt. Maria „wird mit Recht von der Kirche mit einem Kult eigener Art geehrt“ (Katechismus, 971), der in den vielen Festen, liturgischen Gedenktagen und Frömmigkeitsübungen, die ihr die Katholiken widmen, zum Ausdruck kommt.

Antonio Ducay

Grundlegende Bibliografie

Katechismus der Katholischen Kirche, 430-534, 720-726 und 963-975.

Johannes Paul II., Jesus Christus, der Erlöser. Katechesen 1986-1989, St. Ottilien 1993.

Empfohlene Lektüren

Antonio Ducay, Jesús, el Hijo Salvador, Rialp, Madrid 2015.

Vicente Ferrer Barrientos, Jesus Christus unser Erlöser. Einführung in die Christologie, Fassbaender, Wien 2002.

Antonio Ducay