Thema 11. Das Zeugnis der Evangelien

Jesus hat die Apostel in die ganze Welt gesandt, um „allen Geschöpfen das Evangelium zu verkünden“. Inhalt dieses Evangeliums war das, was Jesus in seinem irdischen Leben getan und gelehrt hat. Die vier Berichte von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes sind das Ergebnis eines langen Entstehungsprozesses. Die Evangelien sind keine Bücher, die Jesus als eine Gestalt der Vergangenheit darstellen: Sie sind aktuelles Wort; in ihnen ist Jesus immer lebendig.

Das älteste geschriebene Zeugnis des Wortes „Evangelium“ im christlichen Sinn stammt vom heiligen Paulus, auch wenn es schon vor ihm verwendet wurde. Der Apostel benützt es zwanzig Jahre nach dem Tod des Herrn, ohne es erklären zu müssen (1 Thess 1,5; 2,4; Gal 2,5.14; 1 Kor 4,15; Röm 10,16). Im Mund Jesu pflegt das Wort „Evangelium“ von einer Ergänzung begleitet zu werden: „Evangelium vom Reich Gottes“.

In der Antike – bei Homer oder Plutarch – wurde das Wort „Evangelium“ verwendet, um die Belohnung zu bezeichnen, die der Überbringer einer Siegesnachricht erhielt, oder das Dankopfer, das den Göttern für diese gute Nachricht dargebracht wurde. Die Römer nannten die Gesamtheit der Wohltaten des Augustus für die Menschheit „Evangelien“. Das bezeugt eine auf den Kaiser bezogene Inschrift: „Der Tag der Geburt des Gottes hat den Beginn der guten Nachrichten für die Welt angezeigt“.

In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (Septuaginta) stand jedoch das Verb evangelizo, „eine gute Nachricht bringen“, in Zusammenhang mit der Ankündigung der messianischen Zeiten, in denen Gott sein Volk retten wird: „Willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König (Jes 52,7-8; vgl. Jes 61,1-2; Ps 96,2.10).

Im Neuen Testament ist Jesus dieser Bote, der das Königtum des Herrn verkündet und mit seinem Wort die messianischen Zeiten eröffnet.

Abfassung und Authentizität der Evangelien

Die Evangelien berichten uns: „Nachdem man Johannes ins Gefängnis geworfen hatte, ging Jesus wieder nach Galiläa und verkündete das Evangelium Gottes“ (Mk 1,14). Diese gute Nachricht besteht darin, dass mit Jesus das Reich Gottes gegenwärtig wird. Jesus ist nicht nur Bote dieser guten Nachricht, sondern diese Nachricht bezieht sich auf ihn selbst. Nach seiner Auferstehung sandte Jesus die Apostel in die ganze Welt, um „das Evangelium allen Geschöpfen zu verkünden“ (Mk 16,15). Der Inhalt dieses Evangeliums waren die Worte und Werke Jesu in seinem irdischen Leben sowie sein Leiden, sein Tod und seine Auferstehung, wobei gezeigt wird, dass in ihm sich die Verheißungen des Alten Testaments erfüllten.

Aus dieser apostolischen Sendung entspringen die „Evangelien“, die so genannt werden, weil sie schriftlich das gepredigte Evangelium enthalten. Vier Zeugnisse des einzigen Evangeliums sind auf uns gekommen: von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Diese vier Berichte sind Ergebnis eines langen Entstehungsprozesses, der gewöhnlich in drei Etappen eingeteilt wird:

1) Das Leben und die Lehren Jesu in Palästina in den drei ersten Jahrzehnten unserer Ära. In diesen Jahren waren seine Jünger Hörer bzw. Zeugen der Zeichen und Wunder, die ihr Meister wirkte. Außerdem wurden sie von ihm ausgesandt, seine Botschaft zu verkünden, was voraussetzt, dass sie lernen mussten, was sie weitergeben sollten. In dieser Periode spielt das Gedächtnis eine große Rolle.

2) Nach dem Tod und der Auferstehung Jesu entwickelt sich die mündliche Überlieferung. In dieser Zeit verkündeten die Apostel im Licht eines tieferen Verständnisses der Ereignisse und mit dem Beistand des Geistes der Wahrheit (Joh 16,13) was der Herr getan und gesagt hatte. Es handelt sich um eine Periode von weiteren 30 bis 40 Jahren, in der sich die Überlieferung über Jesus, von Palästina ausgehend, auf mündlichem Weg in viele andere Teile des römischen Reiches ausbreitet. In diesen Jahrzehnten haben die Überlieferungen über Jesus auch verschiedentlich schriftliche Form angenommen (Lehren und Worte Jesu, von ihm gewirkte Wunder, Bericht über Passion und Tod usw.) und wurden in Verkündigung, Katechese und Liturgie den Bedürfnissen der Zuhörer angepasst.

3) Ab dem Ende der 60er-Jahre – als die meisten direkten Zeugen des Lebens und Wirkens Jesu nicht mehr da waren und der Tempel von Jerusalem zerstört wurde – bis zum Ende des 1. Jahrhunderts haben die Evangelisten über die vielen Dinge, die mündlich oder schriftlich weitergegeben wurden, Berichte geschrieben. Zu diesem Zweck fassten sie diese Traditionen zusammen und entfalteten andere unter Berücksichtigung der neuen Umstände der christlichen Gemeinden. Dabei behielten sie den Stil der apostolischen Verkündigung bei.

Die Evangelien enthalten keine Angaben über ihre Verfasser. Am Ende des 1. Jahrhunderts zitieren einige christliche Schriftsteller Sätze oder Stellen aus den Evangelien, ohne ihre Autoren zu nennen. Im 2. Jahrhundert herrscht jedenfalls Übereinstimmung, dass es nur vier solche Schriften gibt und dass hinter ihnen die apostolischen Gestalten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes stehen. So äußern sich Papias von Hierapolis (den Eusebius von Cäsarea anführt), der heilige Irenäus, Klemens von Alexandrien und der Kanon Muratori, bei denen sich die ältesten Angaben über die Verfasser der Evangelien finden. Der heilige Irenäus schreibt zum Beispiel:

„Matthäus veröffentlichte bei den Hebräern in ihrer Sprache eine geschriebene Form des Evangeliums, während Petrus und Paulus in Rom das Evangelium verkündeten und die Kirche gründeten. Nach seinem Weggang vermittelte uns Markus, der Schüler und Dolmetscher des Petrus, ebenfalls schriftlich, was Petrus gepredigt hatte. Lukas, der Begleiter des Paulus, hinterließ auch ein Buch über das, was dieser gepredigt hatte. Dann schrieb auch Johannes, der Jünger des Herrn, der an seiner Brust ruhte (Joh 13,23), in Ephesus ein Evangelium“ (Adversus haereses,3,1,1).

Mit diesen Worten weist der Bischof von Lyon auf den apostolischen Ursprung der vier kanonischen Evangelien hin. Sie enthalten die authentische und wahre Überlieferung der Apostel. Als „authentisch“ wird das Original oder die Übereinstimmung eines Dokuments mit dem Original bezeichnet. Darin gründet seine Autorität, es ist deshalb glaubwürdig bzw. kann als Beweis gelten. Ein Schriftstück wird authentisch genannt, wenn es wirklich von der Person stammt, der es zugeschrieben wird. Der Begriff „authentisch“ wird aber auch im Plural verwendet, um die mit Autorität ausgestatteten Repräsentanten der Tradition zu bezeichnen, die allgemein von den Kirchenvätern anerkannt wurden. In diesem Sinn sind die Apostel (Matthäus und Johannes) und die apostolischen Männer (Markus als Schüler des Petrus, Lukas als Schüler des Paulus) „authentisch“, denn sie garantieren die Authentizität und Wahrhaftigkeit des Zeugnisses der Evangelien, die ihren Namen tragen, auch wenn sie die jeweiligen Berichte nicht unbedingt mit eigener Hand geschrieben haben.

Wir wissen nicht, wie diese Erzählungen konkret entstanden sind. Die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den drei ersten Evangelien Matthäus, Markus und Lukas, die man „Synoptiker“ nennt, weil sie, in Spalten nebeneinandergestellt, auf einen Blick (synopsis) die Übereinstimmungen und Abweichungen erkennen lassen, waren Anlass zu verschiedenen Hypothesen über ihren Ursprung.

Lange dachte man im Anschluss an Augustinus, dass das Matthäusevangelium als erstes verfasst worden ist und dass Markus es dann gekürzt hat. Später hätte dann Lukas, der die beiden Schriften kannte, sein Evangelium geschrieben.

Unter Berufung auf Klemens von Alexandrien wurde auch gemutmaßt, Matthäus habe als erster sein Evangelium für Judenchristen geschrieben, Lukas habe es dann für Heidenchristen angepasst und Markus schließlich ein Kompendium beider erstellt.

Die Erklärung, die jedoch heute die meisten Anhänger hat, nimmt an, dass das Werk von Markus den engen Zusammenhang zwischen mündlichem und schriftlichem Evangelium sichtbar macht und damit zum Prototyp des „Evangeliums“ wurde. Die anderen Evangelisten hätten das Schema dieses ersten Berichts übernommen und gemeinsames, bei Markus nicht vorhandenes Material sowie eigenes Material hinzugefügt. Jedenfalls musste jeder Evangelist aus den verschiedenen, von den Aposteln stammenden Überlieferungen das auswählen, was ihm zur Verfügung stand, es in eine Erzählung eingliedern und es kürzen oder erweitern, je nach der Lage der Gemeinden, für die er schrieb.

Nach dieser Auffassung scheint es, dass Matthäus und Lukas, vielleicht ohne Kenntnis voneinander, das Evangelium des Markus verwendeten. Was dagegen Matthäus und Lukas gemeinsam ist, sich aber nicht bei Markus findet, pflegt man mit einer Sammlung von Aussagen Jesu (gewöhnlich Logienquelle oder „Q“ genannt) zu identifizieren, von der uns aber, falls sie existierte, keine Zeugnisse vorliegen. Außerdem bringt jedes der drei Evangelien Überlieferungen, die Eigengut sind und nicht in den anderen aufscheinen. Johannes kennt seinerseits die von Markus zusammengestellten Überlieferungen, auch wenn er die Erzählung des Lebens und Wirkens Jesu mit eigenen Merkmalen vorlegt.

Auf jeden Fall enthalten diese ersten Dokumente Überlieferungen, die auf die Verkündigung der Apostel zurückgehen. Sie sind keine „Biografien“ Jesu im heutigen Sinn – auch wenn sie das irdische Leben des Herrn erzählen –, sondern Zeugnis der Apostel über Jesus Christus. Tatsächlich bezieht sich der heilige Justin auf sie als „Erinnerungen der Apostel“, die „Evangelien genannt werden“ (Apologie, 1,66,3). Diese Bezeichnung setzt sich durch. Sie spielt sowohl auf die Originalität des jeweiligen Evangeliums an als auch auf seinen Zusammenhang mit der apostolischen Verkündigung, sogar im Aufbau des Berichts.

Tatsächlich weisen die vier Evangelien das gleiche Schema auf wie die Verkündigung der Apostel (kérygma), die zum Beispiel in der Rede des Petrus im Haus des Hauptmanns Kornelius zum Ausdruck kommt (Apg 10,37-43): Jesus wird von Johannes getauft, predigt und wirkt Wunder in Galiläa, zieht nach Jerusalem und erleidet dort nach seinem Wirken in der heiligen Stadt den Tod. Nach seiner Auferstehung erscheint er den Aposteln und fährt zum Vater in den Himmel auf, von wo er als Richter kommen wird. Denen, die an ihn glauben, werden die Sünden vergeben.

Nach diesem Schema verfasst jeder Evangelist seine eigene Erzählung. Matthäus und Lukas stellen dem öffentlichen Auftreten Jesu die Geschichten seiner Kindheit voran, und Johannes den Prolog, der die Präexistenz Jesu als des Logos zeigt, der Fleisch annimmt. Markus betont die Notwendigkeit der Bekehrung für die Begegnung mit dem Messias sowie die Rolle des Petrus. Matthäus schildert das Wirken Jesu rund um seine großen Reden. Lukas betont den Weg Jesu von Galiläa nach Jerusalem. Johannes schildert Jesus aufgrund seiner Zeichen (Wunder) als den Messias und zeichnet den Tod Christi als seine Verherrlichung.

Historische Glaubwürdigkeit

Wenn man über die historische Wahrheit der Evangelien spricht, muss man ihre literarische Gattung berücksichtigen. Sie sind keine Chroniken des Lebens Jesu, die zeitgleich von Zeugen verfasst wurden. Sie sind Erzählungen, die die apostolische Tradition wiedergeben, die sich ihrerseits getreu an die Predigt und das Leben Christi hält. Die Apostel wiederholen also nicht einfach, was Jesus gesagt, noch berichten sie detailliert, was er getan hat. Sie schildern das Leben Jesu, indem sie seine Bedeutung aufzeigen. Das erkennt man klar an dem Ur-Glaubensbekenntnis, das der heilige Paulus in 1 Kor 15,3 vorlegt und das ihm selbst schon überliefert wurde: „Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift“. Die apostolische Verkündigung erzählt folglich unbestreitbare geschichtliche Tatsachen – „Christus ist gestorben“ unter Pontius Pilatus –; diese Tatsachen haben einen erlösenden Sinn, der direkt die Menschen aller Zeiten betrifft – er ist „für unsere Sünden“ gestorben –; und so haben es die heiligen Schriften Israels vorhergesagt: „gemäß der Schrift“.

Die Evangelien erzählen also, was geschehen ist, was die Apostel bezeugen konnten und verkündet haben, um den Menschen aller Zeiten mitzuteilen, dass das Heil in Christus zu finden ist, der gestorbenen und auferstanden ist, wie die Schriften Israels angekündigt haben. Deshalb darf man in diesen Büchern nicht die nackten, objektiven Tatsachen suchen – was in einem alten Bericht übrigens immer unmöglich ist –, losgelöst von der Bedeutung, die ihnen die Evangelisten gaben. Die historische Realität kann nicht von der Lehre der Apostel, die jeder Evangelist auf eigene Weise vorlegt, getrennt werden.

Das bedeutet allerdings nicht, dass es unmöglich ist, zu den von den Evangelien vermittelten historischen Fakten vorzustoßen; es bedeutet ebenso wenig, dass diese Erzählungen, weil sie untrennbar mit einer Lehre verbunden sind, nicht glaubwürdig sind. Im Lauf der Jahrhunderte hat man die Geschichtlichkeit der evangelischen Berichte nach den Kriterien der Geschichtsschreibung der jeweiligen Epoche untersucht. In der Moderne, als man Geschichte als historische Kritik alter Dokumente verstand, die als nicht objektiv angesehen wurden, kam die Unterscheidung zwischen dem „Jesus der Geschichte und dem Christus des Glaubens“ auf. Damit trennte man die Gestalt des von den Historikern rekonstruierbaren Jesus von der Lehre der Kirche über Christus. Auch wenn es für den Christen keine Trennung gibt – denn der historische Jesus ist derselbe Herr Jesus Christus, dessen Person und Lehre die Kirche treu vermittelt –, so besteht das aufgeworfene Problem dennoch unausweichlich. Man kann die Frage nicht abweisen, wie man aus historischer Sicht zu Jesus gelangt. Jesus Christus, der inkarnierte Sohn Gottes, war und ist wahrer Mensch. Er ist eine Persönlichkeit der Geschichte, und auch sein Erlösungswerk vollzog sich durch Taten in der Geschichte der Menschen. Wäre Jesus eine Idee oder eine Ideologie, dann wäre, wie Benedikt XVI. aufgezeigt hat, das Christentum eine Gnosis. Deshalb ist die historische Forschung über die Erzählungen der Evangelien eine Notwendigkeit, nicht nur um den Glauben zu festigen, sondern auch um eine bessere Kenntnis der heiligen Menschheit des Herrn zu erlangen.

Der Zugang zu Jesus muss von den Evangelien ausgehen. Sie sind die Hauptquelle, um etwas von Jesus zu wissen. Zugleich besitzen wir das historische Zeugnis nicht-biblischer Quellen, die den Inhalt dieser vier Schriften bestätigen. Zum Beispiel haben archäologische Funde in der Region von Palästina wertvolle Fakten ans Licht gebracht, die die Berichte der Evangelien stützen bzw. ihren Kontext erhellen. Die Funde von Qumran, die Übersetzungen jüdischer Schriften ins Aramäische, die mündliche jüdische Tradition und ihre Formen der Vermittlung sowie rabbinische Quellen gestatten eine bessere Kenntnis der religiösen Vitalität der Epoche und der Weise, wie man von den heiligen Schriften Gebrauch gemacht hat. Das Zeugnis des jüdisch-römischen Historikers Flavius Josephus über Jesus sowie die Angaben heidnischer Quellen (Tacitus, Sueton, Plinius), die aus griechisch-römischen rhetorischen Texten ableitbaren Informationen, das Studium der hellenistischen Erziehung bzw. des Einflusses des griechischen Denkens helfen auch, geschichtliche Aspekte der Evangelien besser einzuordnen und zu verstehen. Was die Widerlegung der behaupteten Subjektivität der Evangelienberichte anlangt, kommen zu den erwähnten äußeren Quellen noch eine Reihe von Kriterien hinzu, die die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien untermauern. Die wichtigsten sind:

1) Das Kriterium der Diskontinuität. Erwiesenermaßen als geschichtlich werden Ausdrücke und Tatsachen betrachtet, die weder in das Judentum der Zeit passen noch von der Urkirche oder von den Evangelisten erfunden sein können. Zum Beispiel: „Reich Gottes“, „Menschensohn“, „Abba“, „Amen“, die Taufe Jesu durch Johannes, die Fehler der Apostel.

2) Das Kriterium der mehrfachen Bezeugung. Merkmale der Gestalt, der Predigt und des Wirkens Jesu, die in allen Evangelien und in anderen Schriften des Neuen Testaments oder außerhalb von ihm bezeugt werden, müssen authentisch sein. Zum Beispiel die Haltung Jesu in Bezug auf das Gesetz, die Sünder und die Armen; sein Widerstand, als politischer Messias-König anerkannt zu werden; die Verkündigung des Reiches, sein Heilungswirken und seine Wunder.

3) Das Kriterium der Kohärenz oder Übereinstimmung. Aspekte, die nicht aufgrund anderer Kriterien als historisch eingestuft werden können, die aber zusammenpassen mit dem, was wir sonst auf glaubwürdige Weise von der Predigt Jesu und seiner Verkündigung des Reiches Gottes wissen, sind als authentisch zu betrachten. Zum Beispiel das Vaterunser, die Gleichnisse oder die Seligpreisungen.

4) Das Kriterium der notwendigen Erklärung. Ereignisse, die eine Reihe von Elementen als sinnvoll erscheinen lassen, die anderenfalls unverständlich wären, sind als authentisch anzusehen. Zum Beispiel die Anfangserfolge Jesu, seine Tätigkeit in Jerusalem, die persönliche Unterweisung seiner Jünger.

Zu diesen Kriterien kommen sogenannte „Indizien“ hinzu, die zum Schluss führen, dass das Erzählte sich wirklich zugetragen hat. Dass Jesus im Boot schlief oder dass etwas „in der Nähe von Jericho“ geschah, sind Indizien dafür, dass hinter dem Bericht ein Augenzeuge steht.

All das zeigt, dass die Evangelien, auch wenn sie Glaubenszeugnisse sind, geschichtliche Verlässlichkeit besitzen. Es ist Beweis dafür, dass die theologische Darstellung Jesu durch die Evangelien die historische Realität nicht verfälscht, um seine Gestalt zu vergrößern. Das Bild, das die Evangelisten von ihm vermitteln, erschöpft sich aber auch nicht in ihren Berichten, denn es gibt vieles, das nicht in den Evangelien aufgezeichnet wurde, wie Johannes anmerkt (Joh 20,30-31; 21,25). Vor allem aber ist Jesus der ewige Sohn Gottes, dessen Gestalt jeden Versuch vollkommenen menschlichen Begreifens übersteigt.

Das Bild Christi in den Evangelien

Auch wenn das Bild Christi, das uns die Evangelien vermitteln, unvollständig ist, so ist es nicht nur das Bild, das Gott uns offenbaren wollte, sondern auch Grundlage aller anderen Bilder Christi, die im Lauf der Geschichte der Kirche vorgeschlagen und entfaltet wurden, besonders von seinen Heiligen. Sie alle gründen auf den Bildern Jesu, die wir in den Evangelien finden.

Jesus wird von Matthäus in seiner Majestät dargestellt, denn er ist der Sohn Gottes (vgl. 1,20; 27,54). Er ist auch der verheißene Messias. In ihm gehen die Ankündigungen der Propheten des Alten Testaments in Erfüllung, wie die Stellen zeigen, an denen gesagt wird, dass „sich erfüllte, was Gott durch den Propheten gesagt hatte“, oder ähnliche Aussagen gebraucht werden (1,22-23; 2,5-6.15.17-18; 3,3-4 usw.). Gleichzeitig ist er der Messias, den die Autoritäten Israels nicht annehmen und zurückweisen. Deshalb kündigt er an, dass Gott sich ein neues Volk suchen wird, „das Früchte bringt“ (21,43). Dieses neue Volk ist die Kirche. In ihr ist Jesus der Meister, vor allem aber (schon vor seiner Empfängnis) der Immanuel – Gott mit uns (1,23) –, der bis zum Ende der Zeiten inmitten der Seinen gegenwärtig sein wird (18,20; 28,20). Schließlich ist er der von Jesaia angekündigte Knecht des Herrn, der durch seine Worte und seine Wunder Gottes Heilsplan für die Menschen erfüllt (8,16-17; 12,15-21).

Wie es nicht anders sein kann, ist Jesus auch für Markus der im Alten Testament angekündigte Messias; aber mehr als durch Voraussagen, die sich in ihm erfüllen, wird er dargestellt als der, der die Werke des verheißenen Messias vollbringt. Um Interpretationen politischer Art zu vermeiden, verlangt er von jenen, die aus seinen Werken Nutzen ziehen, dass sie Stillschweigen bewahren, damit sein Messianismus nicht zeitlich, sondern im Licht des Kreuzes verstanden wird (1,44; 5,43; 7,36; 8,26). Deshalb berichtet der Evangelist auch, dass der Titel, mit dem sich Jesus vorzugsweise bezeichnete, „Menschensohn“ ist (2,10.28; 8,31-38 usw.), womit er an die Vision des Buches Daniel anknüpft, in der ein himmlisches Wesen „wie ein Menschensohn“ von oben kommen und Macht über alle Nationen empfangen wird (Dan 7,13-14), was ein Hinweis auf die Transzendenz des Messias ist. Außerdem hebt Markus hervor, dass Jesus „der Sohn Gottes“ ist. Als solcher wird er bereits ganz am Anfang bezeichnet (1,1), vom Vater bei Taufe und Verklärung verkündet (1,11; 9,7) und vom Hauptmann unter dem Kreuz bekannt (15,39).

Lukas betont, dass Jesus der Prophet schlechthin ist (1,76; 4,24; 7,16.26; 13,33; 24,19). Niemand kann wie er im Namen Gottes sprechen. Wie die Propheten des Alten Testaments vom Geist Gottes bewegt waren, wurde Jesus vom Geist bei der Taufe gesalbt (3,22), von ihm in die Wüste geführt, um versucht zu werden (4,1), und nach Galiläa gelenkt, um seine Sendung zu beginnen (4,14.18). Für den dritten Evangelisten ist Jesus auch der Heiland, denn er wird das Volk von seinen Sünden erlösen. In ihm erfüllen sich die Verheißungen des Heils, die von Gott an die Patriarchen und Propheten Israels ergangen sind (1,47.69.71.77; 2,11.30; 3,6 usw.). Sie werden offenbar in seinem Heilshandeln, besonders in den Gesten der Barmherzigkeit gegenüber den Schwachen und Sündern (7,50; 8,48.50; 18,42; 19,9-10). Jesus ist auch der „Herr“. Mit diesem Titel bezeichneten die Juden Gott, um das Aussprechen seines heiligen Namens zu vermeiden. Zugleich war er auch Ausdruck der Hochachtung, mit dem man sich an eine Person wandte. Lukas verwendet diesen Titel für Jesus sehr häufig, um so auf sein Gottsein von der Geburt an bis zu seiner vollen Offenbarung in der Auferstehung hinzuweisen (2,11; 5,8.12; 7,6 usw.).

Nach Johannes ist Jesus wiederum der Israel verheißene Messias; ebenso der Prophet (4,19; 6,14) und der Meister (Rabbi), der lehrt (1,38.49; 3,2 usw.; 6,3.69; 7,14.28; 8,20). Aber im vierten Evangelium gewinnt diese Offenbarung eine größere theologische Tiefe. Wie in den anderen Evangelien ist Jesus der Sohn Gottes; aber Johannes unterstreicht, dass er „der“ Sohn ist, der Eingeborene (1,14.18), der einzige wahre Sohn, für den Gott auf andere Weise Vater ist als für die anderen Menschen (20,17). Tatsächlich ist er eins mit ihm (10,30; 5,19-21.23.26; 14,11). Außerdem ist Jesus als Sohn Gottes präexistent (1,30; 8,58). Er hat Fleisch angenommen und unter den Menschen gewohnt (1,1-14). Er ist das ewige Wort des Vaters, der Logos, der die Welt geschaffen hat und sie erhält (1,1-3); und er wurde als letztes und entscheidendes Wort Gottes gesandt, um den Menschen Gott zu offenbaren (17,25). Auf ihn treffen einige Merkmale zu, die im Alten Testament Gott zugeschrieben werden: Jesus ist das Brot des Lebens (6,35.51), das Licht der Welt (8,12), die Tür (für die Schafe) (10,7.9), der Gute Hirte (10,11.14), die Auferstehung und das Leben (11,25), der Weg, die Wahrheit und das Leben (14,6), der Weinstock (15,1.5). Deshalb kann er den Ausdruck „Ich bin“ in absolutem Sinn gebrauchen, ohne ein Prädikat (8,28.58; 18,5), um seine Gottheit zu bezeichnen. Außerdem ist er auch „Menschensohn“, wahrer Mensch, der vom Himmel herabgestiegen ist, um zu sterben (1,51; 3,13; 6,62), das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt durch seinen Tod am Kreuz hinweg nimmt (1,29.36; vgl. 19,14).

Jedenfalls sind die Evangelien keine Bücher, die Jesus als eine Gestalt der Vergangenheit darstellen. Sie sind aktuelles Wort; in ihnen ist Jesus immer lebendig. Deshalb konnte der heilige Josefmaria raten: „Lebe nahe bei Christus! Du sollst wie eine Gestalt des Evangeliums unter den anderen sein, jemand, der mit Petrus, mit Johannes und Andreas verkehrt... Denn Christus lebt auch heute: Jesus Christus, heri et hodie, ipse et in saecula! – Jesus Christus lebt! Heute wie gestern, und er bleibt derselbe in Ewigkeit“ (Im Feuer der Schmiede, Nr.8).

Juan Chapa

Grundlegende Bibliografie

II. Vatikanisches Konzil, Dei Verbum, Nr. 18-19.

Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 124-127.

Empfohlene Lektüre

Theologische Fakultät der Universität von Navarra, Einführungen zu den Evangelien, in Sagrada Biblia, Nuevo Testamento, Pamplona, Eunsa, 2008 (englische Übersetzung verfügbar).

Juan Chapa