Betrachtungstext: 18. Mai – Selige Guadalupe Ortiz de Landázuri

Guadalupe und gewöhnliches Leben – Jeder Heilige ist eine Großtat Gottes – Die Freude, dem Herrn zu folgen

„Das menschliche Leben (...) erscheint wie eine Fahrt auf dem oft dunklen und stürmischen Meer der Geschichte“, schrieb Benedikt XVI. in seiner Enzyklika über die Hoffnung, „in der wir Ausschau halten nach den Gestirnen, die uns den Weg zeigen. Die wahren Sternbilder unseres Lebens sind die Menschen, die recht zu leben wussten. Sie sind Lichter der Hoffnung. Gewiss, Jesus Christus ist das Licht selber, die Sonne, die über allen Dunkelheiten der Geschichte aufgegangen ist. Aber wir brauchen, um zu ihm zu finden, auch die nahen Lichter – die Menschen, die Licht von seinem Licht schenken und so Orientierung bieten auf unserer Fahrt.“1 An ihrem Festtag blicken wir voller Freude auf Guadalupe Ortiz de Landázuri: Sie zeigt uns, wie sehr Gott uns in unserem gewöhnlichen Alltag an seiner Heiligkeit teilhaben lassen möchte; daher ist ihr Leben für uns ein besonders nahes Licht.

„Guadalupe Ortiz de Landázuri ist das erste Laienmitglied des Opus Dei, das von der Kirche zum Vorbild der Heiligkeit erhoben wurde”, sagte Prälat Fernando Ocáriz in seiner Predigt anlässlich der Danksagungsmesse für die Seligsprechung von Guadalupe. „Zuvor wurden bereits der Gründer des Opus Dei, der heilige Josefmaria, und dessen erster Nachfolger, der selige Alvaro, zu solchen erklärt. Dies erinnert uns vor allem an den an alle ergehenden Ruf Gottes zur Heiligkeit, den der heilige Josefmaria seit 1928 predigte und der eine der Hauptlehren des Zweiten Vatikanischen Konzils darstellt (vgl. Lumen Gentium, Kapitel V). Genau das wollte die neue Selige ihren Mitmenschen vermitteln: die Überzeugung, dass die Vereinigung mit Gott in den normalen Umständen des Leben mit Hilfe der göttlichen Gnade für jeden erreichbar ist.“2

Der Herr möchte nicht, dass wir den Weg zu unserem Glück alleine gehen. „Er lässt seine Kirche nie im Stich“, schrieb Papst Franziskus in seiner Botschaft anlässlich der Seligsprechung an den Prälaten, „und weckt in ihr mit der Liebe eines Bräutigams weiterhin Beispiele der Heiligkeit, die ihr Antlitz verschönern, uns mit Hoffnung erfüllen und uns klar den Weg zeigen, den wir gehen müssen.“3 Von Guadalupe können wir lernen, dass „Heiligkeit bedeutet, dass wir Gott unser Herz öffnen und ihm gestatten, uns mit seiner Liebe zu verwandeln“4. Glücklichsein hat viel mit dieser Fähigkeit zu tun, Gottes Neuheit und Schwung anzunehmen. Was ist sicherer, als unser Leben in seine Hände zu legen? Das bedeutet nicht, sich von den Dingen abzuwenden, sondern ganz im Gegenteil: den Beziehungen und Ereignissen auf den Grund zu gehen, weil wir dort den Herrn finden.


„IM ALTER von dreißig Jahren“, fuhr Prälat Fernando Ocáriz in seiner Predigt fort, „schrieb Guadalupe in einem Brief aus Mexiko an den Gründer des Opus Dei: ,Ich möchte treu sein, ich möchte nützlich sein und ich möchte heilig werden. Zweifellos habe ich noch einen langen Weg vor mir (...). Aber ich lasse mich nicht entmutigen und hoffe, dass ich mit Gottes und Ihrer Hilfe und der Unterstützung aller siegreich sein werde‘ (Brief, 1.2.1954). Dieser kurze Satz: ,Ich möchte heilig werden‘, ist die Herausforderung, die Guadalupe für ihr Leben angenommen hat und die sie mit Glück erfüllte. Um ihr Ziel zu erreichen, musste sie dabei nichts Außergewöhnliches tun. In den Augen ihrer Mitmenschen war sie ein Mensch wie jeder andere: Sie kümmerte sich um ihre Familie, erledigte ihre Aufgaben, begann neue Projekte und bemühte sich, ihre Fehler nach und nach zu beheben. Dort, in diesen scheinbar kleinen Kämpfen, vollbringt Gott seine Großtaten. Er möchte sie auch im Leben eines jeden von uns vollbringen.“5

Paulus schrieb an die Korinther: Jeder gebe, wie er es sich in seinem Herzen vorgenommen hat, nicht verdrossen und nicht unter Zwang; denn Gott liebt einen fröhlichen Geber. In seiner Macht kann Gott alle Gaben über euch ausschütten, sodass euch allezeit in allem alles Nötige ausreichend zur Verfügung steht und ihr noch genug habt, um allen Gutes zu tun (2 Kor 9,7-8). Wenn wir das Leben von Guadalupe betrachten, zieht uns ihre Entscheidung, die Eingebungen des Herrn zu erfüllen, ihr Mut, sich für andere einzusetzen, und ihr übernatürlicher Optimismus an. Ihre immense Freude entsprang einem verliebten und wachsamen Herzen.

„Gottes Großtaten sind nicht zu Ende“, fuhr der Prälat in seiner Predigt fort, „seine Macht zeigt sich weiterhin in der Geschichte. Der heilige Josefmaria erinnerte gerne an die Worte des Propheten Jesaja: Non est abbreviata manus Domini (Jes 59,1): ,der Arm Gottes ist nicht kürzer geworden; Gott hat heute nicht weniger Macht als in früheren Zeiten‘ (Christus begegnen, 130). Der Herr selbst möchte sich weiterhin auf vielerlei Weise offenbaren, auch durch die Heiligen. Jeder Heilige ist eine Großtat Gottes, eine Art und Weise Gottes, in unserer Welt gegenwärtig zu werden; er ist ,das schönste Gesicht der Kirche‘ (Gaudete et exsultate, Nr. 9)“6, das wir in unserem eigenen Leben widerzuspiegeln sollen.


„GUADALUPE war stets froh“, sagte der Prälat weiter, „weil sie zuließ, dass Jesus sie leitete und ihr Herz erfüllte. Sobald sie erkannte, dass Gott sie rief, sich auf dem Weg des Opus Dei zu heiligen, sah sie darin mehr als nur einen neuen, spannenden irdischen Plan. Sie begriff, dass es etwas Übernatürliches war, das Gott von Ewigkeit her für sie vorbereitet hatte. Diese Glaubensgewissheit belohnte Gott mit einer Fruchtbarkeit, die sie nicht einmal ahnen konnte, und mit einem Glück ‒ dem Hundertfachen, das Jesus seinen Jüngern versprochen hatte ‒, das wir in ihren Briefen spüren können (...).

Die eigenen Vorlieben und die eigene Bequemlichkeit zu suchen, könnte der Schlüssel zur Freude zu sein scheinen. Es ist aber nicht so. Jesus Christus weist darauf hin, dass, wer der Erste sein will, der Diener aller sein soll (vgl. Mk 9,35); dass er selbst auf die Erde gekommen ist, um zu dienen (vgl. Mt 20,28); und ein anderes Mal betonte er, dass sein Platz unter den Menschen der desjenigen ist, der bedient (Lk 22,27). Beim Letzten Abendmahl kniete er vor seinen Aposteln nieder, wusch einem jeden die Füße und sagte dann zu ihnen: Auch ihr sollt einander die Füße waschen (...) Wenn ihr das versteht und tut, werdet ihr gesegnet sein (Joh 13,14-17). Guadalupe erlangte diese Freude, die sich aus ihren Briefen und ihrem Leben herauslesen lässt, auch deshalb, weil das erste Wort, das sie jeden Morgen, wenn sie aufwachte, an den Herrn richtete, Serviam! lautete: Ich will dienen! Und diesen Vorsatz wollte sie in jedem Moment des Tages umsetzen. Die Freude von Guadalupe kam aus ihrer Vereinigung mit Jesus Christus, die sie selbstvergessen darauf achten ließ, auf jeden Menschen einzugehen.“7

Auch wir wollen dem Herrn auf diese Weise folgen. Guadalupe wechselte von einem Ort zum anderen, von einem Beruf zum anderen, mit der Entschlossenheit eines Menschen, der in der Tiefe seiner Seele jedes Mal neu das Folge mir nach! seiner Berufung vernimmt. „Wenn wir durch den Glauben die Größe des Wollens Gottes entdecken“, predigte Don Fernando Ocáriz bei der Danksagungsmesse in Rom: „,empfangen wir – wie Papst Franziskus schrieb – neue Augen, erfahren wir, dass in ihm eine große Verheißung von Fülle liegt, und es öffnet sich uns der Blick in die Zukunft‘ (Lumen fidei, Nr. 4).“ Danach zitierte er Guadalupe selbst, die ihre erste Begegnung mit dem heiligen Josefmaria so beschrieben hatte: „Ich hatte das klare Gefühl, dass Gott durch diesen Priester zu mir sprach (...) Ich spürte einen großen Glauben, einen starken Widerschein Gottes.“ Bitten wir den Herrn – mit Worten des Prälaten –, „uns auf die Fürsprache von Guadalupe diese neuen Augen des Glaubens zu schenken und zu schärfen, damit wir in unsere Zukunft so sehen können, wie der Herr sie sieht“8.


1 Benedikt XVI., Spe Salvi, Nr. 49.

2 Prälat Fernando Ocáriz, Predigt, 19.5.2019.

3 Franziskus, Botschaft zur Seligsprechung, 12.4.2019.

4 Ebd.

5 Prälat Fernando Ocáriz, Predigt, 19.5.2019.

6 Ebd.

7 Prälat Fernando Ocáriz, Predigt, 21.5.2019.

8 Ebd.