Scheffczyck: Heiligung der Arbeit

Leo Kardinal Scheffczyck über Josefmaria Escrivá

Leo Kardinal Scheffczyk

Menschliches Tun ist auf Erfolg ausgerichtet. Das Wirken im Apostolat stand für ihn als Priester immer auch unter dem Zeichen der Gnade.

Für die charakteristische Einheitsauffassung von Natur und Gnade im geistlichen Werk des Gründers des Opus Dei lässt sich ein Gedanke anführen, der schlechterdings originalen Charakter besitzt und gleichsam das Sondergut seiner Spiritualität ist. Er liegt in der theologischen Bedeutung der das ganze Werk durchstimmenden Arbeit und ihrer Beziehung zur Heiligkeit. Der Versuch, in der menschlichen Arbeit ein Medium und eine Vermittlungsinstanz für die Gnade zu entdecken, darf im Sinne Escrivás an der im Schöpfungsbericht angelegten Einbeziehung der Arbeit in die Gottebenbildlichkeit des Menschen ansetzen. „Die berufliche Arbeit ... gibt Zeugnis von der Würde des Menschen als Geschöpf Gottes. Sie ist Mittel zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, Band, das uns mit den Mitmenschen verbindet, Grundlage unserer materiellen Existenz; ein Beitrag zur Besserung der Verhältnisse in unserer Gesellschaft und zum Fortschritt der Völker. Die Perspektive erweitert und vertieft sich für einen Christen; denn Christus nahm die Arbeit auf sich und machte sie zu einer erlösten und erlösenden Realität. So ist die Arbeit für uns Mittel und Weg zur Heiligkeit – ein konkretes Tun, das wir heiligen und das uns heiligt“ („Im Feuer der Schmiede“).

Kleinkram und Geheimnis

Als Heiligungsmittel kann die Arbeit freilich nur dem schon glaubenden und begnadeten Menschen dienen, der sie heiligt, woraus sich gleichsam als Reflex die neuerliche Heiligung ergibt. Aber auch abgesehen von der schon erreichten Gnadenwirklichkeit in der übernatürlichen Dimension gilt der Grundsatz, dass „jede Tätigkeit zu einem Mittel werden“ kann, „Gott und den Menschen zu dienen“. Also besitzt auch die natürliche Arbeit einen schöpfungsgemäßen Menschheits- und Gottesbezug. Dieser kann für das Verhältnis zur übernatürlichen Wirklichkeit und zur Begnadung nicht ohne Belang sein; denn „in der Schlichtheit deiner gewöhnlichen Arbeit, in dem immerfort sich wiederholenden Kleinkram des Alltags musst du das große Geheimnis entdecken, das vielen Menschen verborgen bleibt: die göttliche Liebe“ („Die Spur des Sämanns“). Das gilt vor allem für den Fall, dass die Arbeit mit ihrem objektiven Bezug zu den Menschen wie zu Gott „mit Liebe getan wird“.

Im Medium der Liebe ist die menschliche Arbeit bereits auf die höhere übernatürliche Liebe Gottes ausgerichtet, welche durch die Tat des Erlösers das Natürliche endgültig in die Dimension des Heiligen und des Heiles erhebt. Aber dieses Band kommt nicht zufällig und rein äußerlich zu einer menschlichen Realität hinzu, die in keiner Weise auf eine solche Anbindung und Erhebung ein- und ausgerichtet wäre. Die in der Arbeit wirkende natürliche, schöpfungsgemäße Liebe ist vielmehr der innere Zug, der sich dem Zugriff der übernatürlichen Liebe Gottes gleichsam entgegenstreckt, sodass wiederum die Vereinigung von natürlicher und übernatürlicher Liebe nicht als beiläufig und extrinsezistisch gedacht werden kann. Von der natürlichen Arbeit und ihrem Verständnis als Impuls auf die noch höhere Liebe Gottes ergibt sich auch die für das spirituelle Denken Escrivás bezeichnende Überführung der natürlichen Arbeit zum übernatürlichen Wirken und zum Apostolat. Auch dieses hat seine Grundlage in der natürlichen Arbeit, wie wiederum die Tugenden der natürlichen Arbeit auch in der apostolischen Tätigkeit unentbehrlich sind.

Freilich scheint sich mit der für Escrivá charakteristischen Einbeziehung der Arbeit in das Gnadendenken ein Problem zu ergeben, das bei Nichtbeachtung als Einwand gegen die Stimmigkeit dieses theologischen Ansatzes erhoben werden könnte: Menschliches Tun, natürliche, auf Erfolg ausgerichtete Tätigkeit scheint nämlich der Gratuität der Gnade zu widersprechen und ihren Charakter als unverdienbares Geschenk aufzuheben. Der Einwand richtet sich nicht nur auf die originäre Phase des Übergangs und des Aufstiegs von der Natur zur Gnade, der so als „von unten“ erwirkt verstanden werden könnte; er betrifft auch das im Gnadenstand immer neu geforderte apostolische Tun und Wirken, die Apostolatsarbeit, die Frucht tragen und die Heiligung der Welt vollbringen soll. Die Forderungen des Seelenführers und des Gründers des Opus Dei an die ihm Anbefohlenen zum apostolischen Einsatz und zur nimmermüden Arbeit am Werden des Reiches Gottes ergehen unablässig und entschieden; im gleichen Zusammenhang erfolgen genauso eindringliche Warnungen vor Trägheit, vor falscher Selbstgenügsamkeit, vor Lauheit und Mittelmäßigkeit.

Anstelle vieler Zeugnisse für die Grundhaltung stehe dieses eine: „Niemals dürfen wir Zeit übrig haben, keine Sekunde: Ich übertreibe nicht. Es gibt viel Arbeit: Die Welt ist groß. Millionen Menschen haben die Lehre Christ noch nicht klar vernommen. Einen jeden frage ich: Findest du, dass du zuviel Zeit hast? Denke nach, denn es könnte sein, dass du von Lauheit befallen oder – was den Glauben betrifft – wie ein Gelähmter bist, unbeweglich erstarrt, unfruchtbar und unfähig, all das Gute wiederzugeben, das du den Mitmenschen weitergeben solltest.“ In all diesen Aufforderungen schwingt ein edles Pathos von Arbeitseifer, von rastloser Aktivität und sich selbst verzehrender Hingabe mit, das wegen seiner Entschiedenheit auch des menschlichen Aktivismus, der Leistungssucht und des Vertrauens auf die eigene Kraft verdächtigt werden könnte. Das Gnadenmoment wäre dann in seiner Bedeutung geschmälert.

Gefahr des Aktivismus

Aber in Wahrheit sind diese fordernden Appelle gnadentheologisch abgesichert: In dem ersten Fall, in dem der Überstieg von der natürlichen zur gnadenhaft-apostolischen Arbeit durch die Vermittlung der Liebe erklärt wird, ist gesichert, dass die Liebe von ihren Wesen her nichts erzwingen, fordern oder an sich reißen will, sondern dem begnadenden Gott die Freiheit lässt; im anderen Fall (dem der apostolischen Tätigkeit des schon in der Gnade stehenden Christen) ist durch die dauernd mitgehende und immer deutlich bekundete Glaubensüberzeugung klargestellt, dass alles Wirken in der Gnade aus der Gnade erwächst und nie als gänzliche Eigenleistung ausgegeben werden kann und dass alles Wirken des Menschen in der Gnade ein Mitwirken mit ihr ist.

Der Charakter dieses menschlichen Wirkens im Apostolat, der Eigentätigkeit auf der Grundlage der göttlichen Gnade besagt, kommt nirgends deutlicher zum Ausdruck, als in der Notwendigkeit des Gebetes bei allem apostolischen Tun und durch die Rückbindung aller Aktivität und Aktiven an die Kontemplation; denn insofern das Gebet die Arbeit informiert und beseelt, ist diese von der göttlichen Gnade nicht mehr zu trennen.

Beide diese gnadenhaften Erfordernisse erscheinen vereint in Sätzen wie dem folgenden: „Die Gefahr, in die Irre zu geraten, ist groß für die, die sich der Tat an sich verschreiben – dem Aktivismus – und die dabei die Hilfen verschmähen, die ihre Frömmigkeit festigen müssten: den regelmäßigen Empfang der Sakramente, das betrachtende Gebet, die Gewissenserforschung, die geistliche Lesung, den vertrauten Umgang mit der Mutter Gottes und mit den heiligen Schutzengeln ... All das verhilft außerdem dazu, ja, es ist geradezu unersetzlich, um den Alltag eines Christen liebenswert zu machen: Aus dem inneren Reichtum fließen dann Mühe und Freuden wie Honig aus der Wabe.“

Rheinischer Merkur, Bonn